: Die Niederlage, die nicht schmerzt
Real Madrid erkennt nach dem 2:4 die Überlegenheit des FC Bayern München an, kündigt aber für das Champions-League-Rückspiel Revanche an ■ Aus Madrid Reiner Wandler
Offensiver Fußball mit einer Dreier-Sturmspitze und einer weit vorgezogenen Abwehrlinie tut dem Fluss des Spieles zweifelsohne gut. Zum Sieg verhilft es nicht immer. Und schon gar nicht, wenn die Abwehrkette schwächelt und diese Taktik gegen den FC Bayern München in Topform eingesetzt wird. Das mussten Spieler und Trainer von Real Madrid am Dienstagabend in ihrem ersten Match in der Zwischenrunde der europäischen Champions League lernen.
„Ein fast tadelloser Bayern München“ – so gestand auch Real-Trainer Vicente del Bosque unumwunden ein – ging nach 20 Minuten in Führung, nachdem das Gespann Scholl/Elber die Abwehr der „Weißen“ nicht zum ersten Mal überlaufen hatte. Ab jetzt rannte Real Madrid hinterher. 0:2 durch Effenberg, 1:2 durch Morientes. Nach der Halbzeit 1:3 durch Fink; Anschlusstreffer durch Raul, und schließlich machte Sergio mit seinem 2:4 aus einer Standardsituation alles klar. Für die Fans von Real Madrid, die zum ersten Mal einen deutschen Club im Station Bernabeu gewinnen sahen, war der Krimi vorbei. Was blieb, war ein Fußballfest, wie sie in der europäischen Spitzenklasse leider immer seltener werden.
„So tut es nicht weh“, titelte die Sportzeitung Marca. „Ein großer Bayern München gegen einen großen Real Madrid“, lautete denn auch die Quintessenz des Trainers der Spanier, Vicente Del Bosque. Er hätte sich durchaus auch einen 4:5-Bayernsieg oder gar ein 5:5-Unentschieden vorstellen können, verriet er. Und in zahlreichen Interviews träumt er weiter mit regungsloser Mine von allen drei Titeln in diesem Jahr. Optimismus, der über die Mängel seiner Mannschaft keineswegs hinweg täuschen kann.
Nur drei Tage, nachdem sich Real mit einem Sieg gegen den FC Barcelona an der Spitzengruppe der spanischen Liga zurückgemeldet hat, zeigte die Elf das zerfahrene Bild der letzten Monate. Mindestens zwei der vier Treffer waren der mangelnden Koordination in der Abwehr zuzurechnen. Die Bayern hebelten die „Weißen“ immer wieder aus und hatten dabei kaum mehr Mühe, als am vergangenen Wochenende gegen Eintracht Frankfurt. Ein starker Sturm um einen herausragenden Raul kann dann eine Niederlage höchstens noch versüßen, verhindern kann er sich nicht. Raul machte sich immer wieder von Fink frei. So manch einer bei den Bayern wünschte sich den gesperrten Jeremies herbei. Und die Madrider Fans vermissten ihren Bodo Illgner, der von der Bank aus kritisch die Paraden des zweiten Keepers Iker Casillas beobachtete.
Die derzeitige Mannschaft von Real Madrid ist sicher nicht in der Lage, den achten Europacup der Vereinsgeschichte zu gewinnen. Und in der spanischen Liga liegt Real nur auf Platz drei, sechs Punkte hinter Deportivo la Coruña. Der Mannschaft fehlt ein Motor im Mittelfeld. Nostalgisch denkt so mancher an die Zeiten zurück, als dort ein Seedorf – wie eine Spinne im Netz – die Bälle verteilte. Rannte er, rannte auch die Mannschaft. Stoppte er, stoppten alle. Doch nach mehreren Trainerfiasken sind die alten großen Namen verkauft. Was nachkam, war zwar teuer, gut ist es deshalb noch lange nicht.
Es ist bezeichnend, dass das Liga-Comeback mit einem 3:0 gegen Barcelona nicht auf das Konto der hoch dotierten Stars ging, sondern einer Mannschaft mit Spielern der zweiten Reihe. Paradebeispiel für personalpolitische Fehlentscheidungen ist der Kauf von Nicolas Anelka. Mit 66 Millionen Mark der zweitteuerste Fußballspieler aller Zeiten, bringt er keinen ordentlichen Spielzug zustande. So schaute er sich am Wochenende nach einem Schuss gegen Barcelona verblüfft um, als das Publikum „Tor, Tor!“ jubelte.
Am Dienstag gegen Bayern bot er wieder das übliche Bild. Anelka lief regelrecht vor dem Ball davon. Bekam er ihn doch mal durch Zufall, gab er ihn schnell weiter und schaute dabei schüchtern um sich. Episoden, für die unzufriedene Clubmitglieder den Kopf von Real-Präsident Lorenzo Sanz fordern. Sanz verlagert sich mittlerweile auf das Rechnen. Nicht etwa bei den Finanzen des schon traditionell hoch verschuldeten Clubs, sondern bei den möglichen Punkten.
Da die ersten zwei jeder Gruppe weiterkommen, schaut man bei Real jetzt auf Dynamo Kiew. Ihr 2:1-Sieg gegen Rosenborg hält in der Gruppe alles offen. Den Madridern gelten sie dennoch als leichter Gegner, der, einmal bezwungen, den zweiten Platz in der Gruppe frei räumen soll. Und falls dieses Kalkül nicht aufgeht? „Ich habe mit den Spielern gesprochen, und sie haben mir gesagt, dass wir in München gewinnen werden“, erklärte Sanz nach dem Spiel. Na, dann kann ja nicht mehr schief gehen.
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