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Ich gehe ins Theater ...

... weil Jägermeister alleine nicht knallt: Neue Dramatik in Meiers Schönem Fleischsalon

Ins Theater gehen, hier zu Ort und jetzt: ein Wagnis. Man könnte sich mit Ostermeiers Sozialstudien konfrontiert sehen, für die doch das Format des Dokumentarfilms so viel mehr hergeben würde. Oder mit Castorf und Kresnik, die sich plötzlich alt fühlen und das in ihren Inszenierungen ganz ungeniert zeigen. Höchste Zeit also, sich mal wieder in der Off-Szene umzusehen.

Nach dem Erfolg von „Familie Meier Goes East“ in den beiden letzten Jahren haben die InhaberInnen von Meiers Schönem Fleischsalon nun ein neues Thema aufgetan.

„Meiers Filet-Stücke – Neue Dramatik aus deutschen Landen“ heißt die Reihe, die am Mittwochabend im Theaterdock eröffnet wurde. Bis Dezember werden an jedem ersten Mittwoch im Monat die Stücke junger deutschsprachiger AutorInnen vorgestellt.

Niemand hätte sich beklagen können, wäre das Theaterdock in der Lehrter Straße an diesem Abend leer geblieben. Der Mittwoch ist sowieso ein schwieriger Tag. An diesem speziellen Mittwoch spielt Hertha auch noch zu Hause gegen Prag, und im Fernsehen läuft „Big Brother“ an. Doch schon lange vor Veranstaltungsbeginn ist der Raum hoffnungslos überfüllt. Kulturschaffende in den späten Zwanzigern streiten sich um Stehplätze an Fensterbänken, und wildfremde Nachbarn bitten ängstlich ums Platzfreihalten, wenn sie zur Bar laufen.

Die fürsorglichen Menschen vom Fleischsalon bitten wegen dieser Körperdichte vor Beginn, „nur in den Pausen zu rauchen und zu fotografieren“. So kann man sich schon mal auf die Stücke vorbereiten, denn zwei Drittel der dargestellten Texte sind mindestens so absurd wie der Wunsch, man möge nur die Pausen fotografieren.

Die beiden HdK-Studenten (Szenisches Schreiben) Andreas Sauter und Bernhard Studlar kümmern sich in „Zimmer im Paradies“ ums Dysfunktionale der Liebe in einer Singleswelt. Das ist nicht neu, und neu ist auch nicht die Idee, die Sprache als Track zu behandeln, der dann – tja, nicht variiert, sondern remixt wird. Unvergessen wird aber der Regieeinfall bleiben, das schwierige Thema Blut im Teletubbies-Style zu mixen: Statt Ketchup und Nagellack zu verschmieren, drücken sich die ProtagonistInnen einfach rote Pappmuster auf die Leiber.

Fürs große Finale sorgt Claudius Hagemeister. Seine Welt in „Heimliche Sprechstunden in unheimlichen Garagen“ ist mehr als aus den Fugen geraten: sie ist total gaga. Vorne lässt sich ein in die Krise geratenes Pärchen von einem rotwelschenden Gebrauchtwagenhändler (in Hochform: Martin Pohlmann) psychotherapieren, während im Hintergrund das harmonische Antipoden-Paar Trauben verspeist. Wie ein wahnsinnig gewordener Loriot, wie Eduard Zimmermann, auf dessen Weißen Ring irgendein Nepper zuviel Acid geträufelt hat, steht der Autor als Kommentator da: „Wir sollten und dürfen unsere Augen nicht davor verschließen, dass defekte Partnerschaften Verbrechen fördern!“

Die Sprache glänzt durch den gekonnten Umgang mit Stabreimen, und Regieeinfälle wie Schattentheater und Schaffnerinnen mit Haltesignal lockern den dichten Text auf. Am Ende teilt eine Bauchladenfrau Jägermeister aus, der Saal johlt und man freut sich, im Theater gewesen zu sein. Hertha hat auch nur 1:1 gespielt.

Christoph Braun

Jeden Mittwoch, 21 Uhr, im Theaterdock in der Kulturfabrik, Lehrter Straße 35

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