Underdogs der Diplomatie

Berlin ernennt 23 Rentner, Abiturienten, Akademiker und Angestellte zu „Botschaftern“, die Diplomaten das wahre Berlin zeigen wollen ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Demnächst können die in der Hauptstadt akkreditierten Diplomaten ihre Diplomatie im wahrsten Sinne des Wortes unter Beweis stellen. Statt Einträge ins Goldene Buch oder Cocktailempfänge erwarten sie Begegnungen der dritten Art. Begegnungen mit echten Berlinern: Hausfrauen, Arbeitern, Abiturienten, Rentnern, Akademikern, die sich weniger auf dem Parkett der Diplomatie als vielmehr auf dem Asphalt der Großstadt bewegen. Sie wollen die 15.000 Menschen, die mit den 170 Botschaften nach Berlin kommen, in einer „Welcome Home“-Aktion begrüßen. Berliner Hinterhof statt Wannseevilla, Buletten statt Kaviar, Fahrrad statt Limousine.

Am Mittwochabend wurden die 23 „Berlin-Botschafter“, einer pro Bezirk, an einem diplomatenwürdigen Ort vorgestellt: in der Commerzbank am Brandenburger Tor. Die Bank in unmittelbarer Nähe zur russischen und amerikanischen Botschaft gehört zu den Sponsoren der Aktion, die sich die Kommunikationsagentur ariadne & wolf ausgedacht hat.

Weil Botschafter auch nur Menschen sind wie du und ich, sind die unter den 2.000 Bewerbern ausgewählten „Botschafter“ auch Berliner wie du und ich. Einzig ihr Interesse, den „Vertretern der Welt“ ihre Stadt zu repräsentieren, prädestinierte sie für ihren Job. Ob Berliner oder nicht, in Brot und Lohn oder nicht, jung oder alt – der Sprecher von ariadne & wolf, Sascha Wolf, betont, dass all das „natürlich keine Rolle“ spielte. Keine Chance hatten Bewerber, die auf kostenloses Essen oder billige Reisen hofften. Fast hätte es sogar eine arbeitslose Frau geschafft. Doch als sie im Endcasting angab, den Diplomaten ihre Problematik schildern zu wollen, war sie draußen.

Um die Auserwählten auf ihre Aufgabe einzustimmen, waren die Präsidentin des Clubs der Diplomatenfrauen, eine Dame vom „International Counter“ der Commerzbank, der Presseattaché der Schweizer Botschaft und ein echter Botschafter – der von Slowenien – geladen. Als Mutmacher hagelte es große Zitate: „Es reicht nicht nur zu wollen, man muss auch tun“ (Goethe) und „In Berlin herrscht immer Gründerzeit“ (Fontane). Sascha Wolf, der in dem Radioprogramm „Diplomatic Lounge“ schon bei diversen Botschaftern auf dem Schoß saß, versuchte sich an Che Guevara. „Lasst uns realistisch sein oder so.“ Sattelfester war der locker-flockige Moderator bei seinen Eigenkreationen: „Denkt in Geschichtsbuchdimensionen!“, rief er den Underdogs der Diplomatie zu.

Deren Vorschläge waren so verschieden wie sie selbst. Ein Polizist lädt zum Tag der offenen Tür bei der Berliner Polizei, eine Historikerin aus dem Jüdischen Museum empfiehlt einen Besuch desselben, ein amerikanischer Pharmazeut will seine „Liebe an die Stadt“ weitergeben, ein Student hofft, seinen Professor mit seinem Engagement „nachsichtiger“ zu stimmen. Ein Mann bietet sich als „Kommunikator des kleinen Mannes“ und eine Ingenieurin als „geborgte Tante“ für Botschaftskinder an. Am kommenden Mittwoch werden sie in einer „langen Nacht der Diplomaten“ auf das diplomatische Corps losgelassen. Alles weitere hängt dann von ihrer Diplomatie ab.

Auffällig ist die Unterstützung, die die „Botschafter“ aus dem Ostteil der Stadt von ihren Bürgermeistern erhielten. Kein schlechter Bezirksfürst, der nicht an Investoren dabei denkt. Weil die USA ganz hoch im Kurs stehen, entwickelte sich die Vorstellung zum Running Gag, dass der amerikanische Botschafter eines Tages in der Plattenbausiedlung Hellersdorf Fußball spielt. Fest auf dem Boden der Realität zeigte sich aber niemand enttäuscht darüber, dass man gegebenenfalls mit einer Botschaftssekretärin oder dem Fahrer oder den Kindern eines Botschafters vorlieb nehmen müsse.