piwik no script img

Geschlachtet und geköpft: Nigeria im Blutrausch

Die Gewalt der letzten zwei Wochen war von Anfang an organisiert. Auch jetzt bleibt die Lage gespannt ■ Aus Lagos Jahman Anikulapo

Wenige Tage religiöser Unruhen haben genügt, um Nigeria 34 Jahre zurückzuwerfen – zurück zur prekären Situation von 1966, als Pogrome das Land in den Bürgerkrieg stürzten. Die Angst ist spürbar, dass Nigerias Militärs, die erst vor einem Jahr aus der Regierung entfernt wurden, die Spannungen nutzen könnten, um die Macht zurückzufordern.

Der Teufel, der Nigeria heute ins Unheil stürzt, heißt Scharia. Das islamische Recht begann in Nigeria als Witz, als der Gouverneur des Bundesstaates Zamfara im Juli 1999 ankündigte, es in seinem Staat einzuführen. Es gab Empörung unter Nichtmuslimen, aber der Gouverneur setzte seinen Plan um, und seit Januar ist die Scharia in Zamfara Gesetz. Seither haben viele Staaten im mehrheitlich muslimischen Norden Nigerias verkündet, in Zamfaras Fußstapfen treten zu wollen.

Sogar in Kaduna, das anders als die meisten Nordstaaten multikulturell und multikonfessionell ist, begann diese Debatte. Zehntausende von Christen demonstrierten daraufhin am 20. Februar in Kaduna friedlich gegen die Scharia. Sie trugen grüne Zweige als Zeichen der Gewaltlosigkeit und sangen zugleich ziemlich unbeugsame religiöse Lieder.

Nach drei Stunden Massenaufmarsch begannen muslimische Jugendliche, in Teilen Kadunas Christen anzugreifen. Sie sangen nicht und trugen keine grünen Zweige. Sie rezitierten Kriegsparolen und trugen Gewehre, Messer, Schwerter, Pfeile und Bogen. Sie besetzten die Hauptstraßen, wo sich die wichtigsten Geschäfte Kadunas befinden, die zumeist zugewanderten Christen gehören.

Urplötzlich trugen auch die christlichen Jugendlichen statt Zweigen und Transparenten Knüppel und andere Waffen. Die Bühne war bereit für den Krieg.

Es dauerte keine halbe Stunde, bevor die wichtigsten Geschäftshäuser Kadunas brannten. Die Regierung verhängte eine nächtliche Ausgangssperre, aber das half den bewaffneten Gruppen nur, sich besser zu organisieren.

Die Kämpfe fanden danach nicht auf den Straßen statt. Bewaffnete Jugendliche gingen von Haus zu Haus und mordeten. Ihre Ziele: Händler vom Volk der Igbo aus Ostnigeria. Sie wurden geschlachtet, geköpft, verbrannt. Erst am Dienstag rückten Soldaten ein, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Der Polizeichef von Kaduna, Alhaji Isah, hatte zuvor die Christen für die Gewalt verantwortlich gemacht. Diese warfen der Polizei daraufhin vor, an einem „Plan zur Auslöschung der Christen“ beteiligt zu sein.

Ein Minister rekrutierte angeblich 2.000 Islamisten

Wer war für die Gewalt in Kaduna verantwortlich? Pensionierte Armeeoffiziere sollen den Gewalttätern Waffen zur Verfügung gestellt haben. Ein Kabinettsminister der Zentralregierung rekrutierte einem Bericht zufolge 2.000 Islamisten, um Christen in Kaduna, die gegen die Scharia eintreten, zu massakrieren. Die Kämpfer sollen auf seinem Grundstück kampiert haben und verantwortlich dafür sein, dass gerade in Kadunas Regierungsviertel so viele Menschen starben. Ein anderer Bericht nennt einen ehemaligen Präsidenten, der Waffen beschafft haben soll. Soldaten in seiner Residenz in Minna im Bundesstaat Niger sollen 200 Christen zurückgewiesen haben, die dort Schutz suchten.

Die Gewalt, die inoffiziell weit über 1.000 Todesopfer forderte, breitete sich unterdessen in die Stadt Kachia aus, 80 Kilometer südlich von Kaduna, wo die für ihre Kriegstradition berühmten Christen des Kataf-Volkes leben. Sie haben sich mehrmals gegen die angebliche Ausplünderung ihrer Ressourcen durch die Muslime Kadunas gewehrt. Als in Kachia 90 Menschen getötet wurden und die Armee auch hier mobil machte, breitete sich im gesamten Norden Nigerias Angst aus. Überall packten Nichteinheimische ihre Koffer und flüchteten in Armeekasernen, während ihre Jäger ihr verlassenes Eigentum plünderten und zerstörten.

Die Eskalation folgte dann am vergangenen Montag, als im Osten des Landes Racheakte einsetzten. Lastwagen voller Igbo-Leichen aus Kaduna erreichten die Stadt Aba, woraufhin Igbo-Jugendliche sich auf der Straße versammelten und „Enyimba“-Lieder sangen - Lieder über die Überlegenheit der Igbo-Rasse. Sie trugen Äxte, Speere, Macheten und Benzinkanister. Sie bewegten sich in großen Gruppen und töteten jeden, den sie als Nordnigerianer identifizierten. Weit über 400 Menschen starben.

Die Gewalt endete vorerst, als die nördlichen Gouverneure am Dienstagabend zusagten, die Scharia zu suspendieren. Aber die Lage hat sich keineswegs beruhigt. In Kaduna sind neue Pro-Scharia-Plakate aufgetaucht. Der Justizminister des Bundesstaates Zamfara hat erklärt, er werde den Beschluss zur Suspendierung der Scharia nicht umsetzen. Der frühere nigerianische Präsident Shehu Shagari hat sich von der Scharia-Suspendierung öffentlich distanziert. Shagari ist ein hoher Würdenträger im Kalifat von Sokoto, der mächtigsten traditionellen islamischen Institution Nigerias. So ist die Unruhe wohl nicht vorbei. Die Polizei ist in weiten Landesteilen in Alarmbereitschaft.

Aber die Hauptkritik richtet sich gegen Präsident Olusegun Obasanjo und seine Willenlosigkeit. Seit Monaten hatten Politiker ihn bedrängt, die Scharia-Befürworter zur Ordnung zu rufen, da die geltende Verfassung Nigerias das Land als säkularen Staat definiert, in dem kein Bestandteil eine eigene Rechtsprechung einführen darf, vor allem keine religiöse.

Obasanjo hatte darauf immer geantwortet, dass er keinem Bestandteil der Bundesrepublik Nigeria seinen Willen ohne Unterstützung des Bundesparlaments aufzwingen könne. Auch das Parlament aber ist dafür bekannt, dass es wichtige Themen eher schleppend behandelt und die Abgeordneten sich lieber um Möblierung und Dienstwagen für sich selber erregen.

Sogar der Staatshaushalt für 2000 ist noch nicht in Kraft gesetzt, und die erste Stellungnahme zur jüngsten Gewalt gab das Parlament erst am vergangenen Montag ab, eine Woche nach Beginn der Unruhen in Kaduna. So wird jetzt auch vermutet, das Parlament sei voller antidemokratischer Kräfte, die Nigeria zur Militärherrschaft zurückführen wollen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen