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Auch eine Art Recycling

■ Müllverbrennungsanlage Borsigstrasse verheizt zweimillionste Tonne Müll

Die zweimillionste Tonne Müll sieht aus wie die anderen. Aus der Glaskanzel im Bunker der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße (MVB) lässt sich ein Auto-Kennzeichen ausmachen, eine Ausgabe der Zeitschrift Für Sie und der Rest eines kunstledernen Koffers. Der Rest spottet in seiner homogenen Mülligkeit jeder Beschreibung – daran ändert auch das Jubliäum der MVB nichts, die gestern mit Bockwurst und Bier die runde Summe feierte.

Eine Tonne entspricht ungefähr der Menge Müll, die ein Zwei-Personen-Haushalt im Jahr verursacht. Die MVB macht daraus Fernwärme, so dass man möglicherweise mit dem eigenen Müll die Wohnung heizt. Und sie produziert Reststoffe wie Gips für die Rigipswand, hinter der man wohnt oder Schlacke für die Straße, auf der man zum Einkaufen fährt.

320.000 Tonnen Restmüll jährlich ist die Stadtreinigung verpflichtet, der MVB zu liefern – bei sinkendem Restmüllaufkommen keine Selbstverständlichkeit. Dafür bietet das Verbrennungsunternehmen, das den Hamburgischen Elektrizitätswerken (HEW) gehört einen günstigen Preis: 195 Mark pro Tonne, statt 300 bis 400 Mark, für die der Müll anderswo verbrannt wird. Die Sache rentiert sich trotzdem: „Im Müll steckt ungefähr so viel Energie wie in der Braunkohle“, sagt Reinhard Kaulbarsch, der Technische Geschäftsführer der MVB.

Die Müllautos der Stadtreinigung fahren den Abfall über eine Rampe in eine hochgelegene Halle mit einem Dutzend Entladeschächten, durch die sie den Müll in den tiefen Bunker schütten. Gestank ist kaum zu bemerken, weil aus dem 12.000 Kubikmeter Müll fassenden Bunker stets Luft abgesaugt wird.

Aus der Glaskanzel hoch oben im Müllbunker dirigiert Marco Tomczak einen Müllgreifer, mit dem er die zweimillionste Tonne schnappt und in den Trichter einer der beiden Brennkammern fallen lässt. Weil der Abfall nicht so homogen ist, wie er aussieht, muss der 20jährige Kranführer dafür sorgen, dass eine ausgewogene Mischung in die Brennkessel gelangt. Einer Ladung mit viel Sand und Blättern, die schlecht brennen, schickt er geschredderten Sperrmüll mit viel Holz hinterher.

Alles zusammen fällt auf einen Rost, auf dem der Abfall bei 1200 Grad Celsius verbrannt wird. Das Feuer erzeugt in einem Rohrsystem Wasserdampf; vermittelt über Wärmetauscher wird daraus die Fernwärme, mit der man die Wohnung heizt. Was dann noch übrig bleibt von der zweimillionsten Tonne, sind 30 Kilo Schrott, 275 Kilo Schlacke, 11,3 Kilo Salzsäure, die an die Industrie verkauft werden, 7,8 Kilo Kesselstaub und 4,6 Kilo Gips. Gernot Knödler

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