: Kinder der Sonne und Clubkids heute
Junge Körper statt alte Meister: Das Stadtmuseum in München widmet der schönen Welt des Fotografen Herbert List eine große Retrospektive
von ESTHER RUELFS
Gebräunte, athletische, wohl proportionierte Männerkörper, die sich für Parfüm und Unterwäsche im Sonnenlicht oder kühlem Wasser räkeln – bevor die „Ästhetik des Hässlichen“ in die Werbung Einzug hielt, waren es Fotografen wie Bruce Weber, die in den 80er-Jahren einen antikischen Schönheitskult wieder aufleben ließen, der die Bilder des deutschen Fotografen Herbert List zitiert. Weber schreibt denn auch in seinem Geleitwort zum Katalogbuch der großen Münchener Retrospektive, List halte die Schönheit junger Menschen, „die gar nicht wissen, wie schön sie sind“, auf ihrem Höhepunkt fest. Wäre List noch am Leben, so Weber, „dann würde ich ihn auf seinem Handy anrufen und ihm sagen, er soll seine alten Meister in die Schublade tun (in den 60er-Jahren gab List die Fotografie auf und wandte sich dem Sammeln von Handzeichnungen zu, A. d. V.), in einen nahe gelegenen Park gehen, sich auf den Asphalt legen und die Skateboarder über sich hinwegfliegen lassen, um die Fotos zu machen, die er so geliebt hat“.
Auch der englische Schriftsteller Stephen Spender, der Herbert List 1929 in Hamburg kennen lernte, beschreibt den hedonistischen Lebensstil Lists und seiner Freunde, „die mir als all das erschienen, was am neuen Deutschland frei, aufgeschlossen und bewusst dem Neuen zugewandt war. Sie waren ‚Kinder der Sonne‘. Weit wichtiger als Politik, Geschäft und persönliches Vorwärtskommen war ihnen ‚das Leben‘. ‚Leben‘ hieß Freundschaft, freie Liebe, Körperkultur, Natur und Sonne.“
Lists „Junge Männer“ ist einer der Werkteile, die das Münchener Stadtmuseum in Zusammenarbeit mit Max Scheler, dem langjährigen Freund und Nachlassverwalter Lists, in einer umfangreichen Werkschau des längst zum „Klassiker“ etablierten Künstlers zeigt. Ende der 20er-Jahre beginnt er als Amateur, und seine Freunde dienten ihm bei den gemeinsamen Wochenenden an der Ostsee als Modelle.
Die meisten Fotografien junger Männer blieben während der Entstehungszeit unveröffentlicht. Die ephebenhaften Körper waren kaum mit dem Körperbild der 30er- und 40er-Jahre kompatibel, auch wenn manche, bisweilen monumentale Perspektiven nicht frei von der vorherrschenden totalitären Ästhetik der 30er-Jahre sind und so auf die politische Konstellation der Zeit verweisen.
Das in der Geschichte der Kunst zuletzt nur noch selten behandelte Thema des männlichen Aktes erscheint heute als Bekenntnis Lists zur eigenen Homosexualität und zu einer schwulen Ästhetik, die mit dem Begehren des Betrachters spielen, der an die Stelle des Fotografen in eine erotische Beziehung zu seinem Gegenüber tritt.
Den Auftakt der umfangreichen Münchener Retrospektive bildet die „Fotografia Metafisica“, jene Stilleben, die schon zu Lebzeiten Lists in Verbindung zur Malerei Giorgio de Chiricos gestellt wurden und immer wieder – gleichsam zum Beweis von Lists avantgardistischer Qualität – in den Mittelpunkt seines fotografischen Werks gerückt wurden. In diesen auratischen und rätselhaften Stilleben arrangiert List Gegenstände, die vor allem durch eine irreale Beleuchtung surreale Qualitäten bekommen und denen immer wieder metaphysische Qualitäten zugesprochen wurden. List selber spricht von „geheimnisvollen Ehen“, die die Gegenstände miteinander eingehen, es sei sein Ziel, „das Magische in den Gegenständen zur Erscheinung zu bringen.“ Dies ist ihm oft genug gelungen.
Nachdem List 1936 Deutschland verlassen hat, findet er über London und Paris nach Athen, von wo aus er die griechischen Inseln erkundet. Die dort entstandenen Aufnahmen bilden das Material für das Buchprojekt „Licht über Hellas“, das im Zuge der Griechenlandeuphorie seiner Zeit projektiert wird, jedoch mit vierzehnjähriger Verspätung erst nach dem Krieg erscheint – übrigens aus Papiermangel und nicht wegen ästhetischer oder politischer Bedenken gegen den „Vierteljuden“. Neben Landschaften, Menschen und Stilleben sind es vor allem Antikenfragmente und Ruinen, die List fotografiert. In der Ausstellung verbinden sich diese Trümmer der griechischen Antike mit den Trümmern des „Isar-Athen“ Münchens nach dem Zweiten Weltkrieg.
Formal findet der Blick auf die unter gleißender Sonne liegenden Tempelruinen und Torsi seine Fortsetzung im Motiv der schneebedeckten Trümmer der Kunstschätze im kriegszerstörten München. Auch hier wird wieder eine Ästhetisierung deutlich, die Lists fotografische Kunstwelt vor jedem Einsickern der Realität selbst im Ausnahmezustand schützt. Statt einer Anklage formulieren seine Bilder eine sonnenbeschienene, schneebedeckte Trümmerlandschaft, die uns in ihrer Schönheit und nicht in ihrer Verheerung berührt.
Nach dem Krieg wendet List sich neben dem Prominentenporträt vermehrt dem Bildjournalismus zu. 1952 schließt er sich der Fotografen-Kooperative „Magnum“ an, der auch Henri Cartier-Bresson angehörte. Anstelle seiner nicht selten zu Statuen erstarrten Modelle findet man nun eine bewegte Straßenfotografie. Eine der schönsten Arbeiten dieser Zeit zeigt den Blick aus dem Fenster auf eine Straße im römischen Stadtteil Trastevere. In einer Reihe von Bildern beobachtet er Kinder, die über Pflastersteine rennen. Er greift dabei auf alte motivische Interessen zurück – doch sind die menschenleeren Stilleben nun belebt.
Mit über zweihundert Fotografien aus dem Nachlass zeigt die Ausstellung einen umfangreichen Überblick des Schaffens, nicht weniger breit ist die von Max Scheler und Matthias Harder herausgegebene Publikation angelegt. Der Titel „Herbert List. Die Monographie“ unterstreicht den Anspruch, eine abschließende, alle Werkteile gleichermaßen berücksichtigende Dokumentation zu liefern, oder wie Lothar Schirmer betont, einen Katalog, eine Monographie und ein Symposion zugleich. Erwartet man jedoch eine Neubewertung oder -gewichtung des Werks Lists, so wird man größtenteils enttäuscht werden. Es finden sich zwar bislang unbekannte Bilder in Ausstellung und Buch, ein überraschende neue Perspektive wird aber nicht angeboten. Dies ist kein Grund, sich von dem Genuss der Fotografien in einer schönen Präsentation abhalten zu lassen.
Herbert List, bis 26. 3., Stadtmuseum, München; 29.6. bis 27. 8., Museum für Angewandte Kunst, Köln. Katalog, Schirmer/Mosel Verlag, 148 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen