: Kopfschmerztabletten – der Beginn einer verhängnisvollen Karriere?
■ Kopfschmerz ist eine Volkskrankheit, über die man wenig weiß. Um das zu ändern, startet jetzt eine Bremer Studie – die PatientInnen und ApothekerInnen künftig bessere Beratung in Aussicht stellt
Er pocht, er hämmert, bohrt, sticht oder brummt. Kopfschmerz hat viele Formen. 165 Kopfschmerzarten zählte die International Headache-Society (IHS). Am weitesten verbreitet dabei die Migräne- und die Spannungskopfschmerzen; sie befallen 70 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens. Doch oft würden die Schmerzen nicht ernst genug genommen, fürchten Experten. Der schnelle Griff zur Schmerztablette – Motto: „Togal hilft“ – werde leider allzu oft auch von ÄrztInnen und ApothekerInnen unterstützt, so die böse Vermutung. Das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (Bips) könnte bald Beweise haben.
Bips und die Apothekerkammern von Bremen und Niedersachsen legen jetzt eine gemeinsame Studie auf – um zu erforschen, was eigentlich mit KopfschmerzpatientInnen in Bremen und im Bremer Umland geschieht. Die soll nicht nicht nur Daten zu Tage fördern, die die Herzen von WissenschaftlerInnen höher schlagen lassen – weil sie beispielsweise erführen, wieviele Aspirin-KäuferInnen wegen der Kopfschmerzen noch nie beim Arzt waren und warum nicht. Im Rahmen der Studie sollen ApothekerInnen auch in die Pflicht genommen werden – und diese wiederum – ganz sanft – auf ihre KundInnen einwirken.
Wer dieser Tage also eine Pa-ckung Aspirin, Thomapyrin, Vivimed, Paracetamol in der Apotheke verlangt, könnte die ersten Folgen der Bremer Kopfschmerzforschung schon zu spüren bekommen. In ausgewählten Studienapotheken sollen KopfschmerzpatientInnen freiwillig Auskunft geben – darüber, ob sie die Pillen nach einer durchzechten Nacht anfordern, wegen des regelmäßigen Menstruationskopfschmerzes oder aus ihnen selbst unbekannten Gründen. Der Apotheker wird zum kurzen Gespräch bitten: „Haben Sie das öfter? Seit wann? Sind Sie deswegen in ärztlicher Behandlung? Was tun Sie sonst gegen den Schmerz? – um nur einige der Fragen zu nennen, deren Antworten anonym behandelt werden sollen.
„Die Untersuchung ist eine Chance“, wertet der Mediziner Dr. Wolfgang Hoffmann vom Bips die Befragung, die er und die Apothekerin Katrin Janhsen entwickelt haben. Neben möglichst vielen Kopfschmerzkranken sollen sich im Lauf der kommenden 18 Monate insgesamt rund 100 Apotheken in Bremen und im Umland daran beteiligen. Dafür wirbt auch der Geschäftsführer der Bremer Apothekerkammer, Dr. Michael Cramer. „Wir wollen den Mehrwert, den der Apotheker als Berufststand bietet, künftig besser sichtbar machen“, sagt er. Durch den falschen Einsatz von Schmerzmitteln entstünden ja auch Kosten, spielt er auf chronische Schmerzen oder etwa Nierenschäden an, die durch die falsche Einnahme von Schmerzmitteln ohne ärztliche Kontrolle entstehen können. Hier seien Apotheker – „als kompetenter Partner zwischen Arzt und Patient“ – künftig stärker gefragt.
Dass die Apothekerkammern die rund 300.000 Mark in die Studie auch aus wirtschaftlichen Gründen investieren, verheimlicht Cramer nicht. Zwar scheiterte unlängst ein Vorstoß, wonach frei verkäufliche Medikamente wie in den USA oder Holland per Internet gehandelt werden können. Doch setzten deutsche ApothekerInnen solchen Tendenzen schon mal vorbeugend Beratung entgegen. Dies dürfte die Empfehlung, den Arzt aufzusuchen, einschließen.
Offen ist noch, wie KopfschmerzpatientInnen auf solche Tipps reagieren. Denn Hoffmann und Janhsen wissen, dass viele SchmerzpatientInnen, die vom Apotheker dieses oder jenes Mittelchen verlangen, einen langen Leidensweg hinter sich haben. Oft genug habe den Geplagten niemand helfen können. Dies, gepaart mit der riskanten Einstellung „das biss-chen Kopfschmerzen, da werfe ich eben eine Tablette ein“, sei aber immer wieder der Beginn einer verhängnisvollen Karriere. Wie verhängnisvoll – das wird vielleicht erst klar werden, wenn die Bremer Daten zum Gebrauch von Kopfschmerzmitteln vorliegen, sagen die ForscherInnen vom Bremer Bips. ede
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