: „Stadtstaat Bremen infrage gestellt“
■ Koalitionskrach in Bremen: Finanzsenator Perschau (CDU) kritisiert den Chef der Senatskanzlei Reinhard Hoffmann für seine Idee, das Umland solle mit Bremen kooperieren
Mit seinen Plänen für eine neue „Regionalkörperschaft“ unter Einbindung niedersächsischer Kommunen hat das Land Bremen nach Ansicht von Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling (SPD) die Diskussion um eine Neugliederung der Bundesländer im Nordwesten eröffnet. Das kürzlich bekannt gewordene Papier sei ein Eingeständnis, dass Bremen „in der jetzigen Form als Zwei-Städte-Staat nicht überlebensfähig ist“.
Die Staatskanzlei in Hannover besteht derweil nicht mehr auf einer förmlichen Entschuldigung Bremens. Regierungssprecher Volker Benke erklärte, der Vorstoß des Bremer Rathauses habe sich „weitgehend erledigt – wegen Lächerlichkeit“ – und zu Diskussionen über den „Nordstaat“ geführt.
Bremens Bürgermeister Henning Scherf hatte am Donnerstag noch die Skizze seines Staatsrates Reinhard Hoffmann als „hervorragende Idee“ gelobt, über die es nur „Missverständnisse“ in Niedersachsen gebe. Die „Missverständnisse“ ausräumen muss Scherf nun auch beim Bremer Koalitionspartner CDU. Finanzsenator Hartmut Perschau hat das Papier genauso verstanden wie die Niedersachsen – und genauso scharf kritisiert. Für Perschau geht es nur noch um „Schadensbegrenzung“, es sei „unverzichtbar, das Papier aus dem Verkehr zu ziehen“. Die „pessimistische und defensive Grundhaltung (...) widerspricht im übrigen auch Geist und Buchstabe der Koalitionsvereinbarung“, schreibt Perschau. „Die Ausweitung der Einwohnerwertung über die Verdoppelung der Einwohnerzahl Bremens mittels Regionalkörperschaft, wie sie in dem Papier vorgeschlagen wird, stellt den spezifischen Charakter Bremens als Stadtstaat in Frage.“
Alles, was Scherf zum „Missverständnis“ das Papiers erklärt hat, hat auch das Finanzressort darin gelesen. „Die Forderung, die Oberzentralität Bremens durch das Umland (mit-)finanzieren zu lassen, konterkariert unsere vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Position“, schreibt Perschau. Bremen müsse auf der besonderen „Einwohnerwertung“ bestehen. Die bisherige Sanierungsstrategie beruht auf der Annahme, durch besondere Investitionsmaßnahmen ließe sich die Einwohnerzahl Bremens noch steigern. Perschau: „Mit dem Sanierungsprogramm und seinem Investitionssonderprogramm ist ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung getan worden. Der Defätismus des Papiers steht in krassem Gegensatz zu dem bisher Erreichten.“
Der Bremer SPD-Unterbezirksvorsitzende Wolfgang Grotheer findet es dagegen „fahrlässig“, sich nicht neue Gedanken über Bremens Perspektiven zu machen. „Die Umland-Abwanderung ist keinesfalls aufgehalten worden“, stellt er fest. Und: „Hat Perschau nicht die letzten Bemerkungen des Bremer Ausschusses für Wirtschaftsforschung gelesen? Da gibt es keinen Anlass für Riesenoptimismus.“ Auch das Oberzentrum Hannover schaffe sich gerade einen regionalen Großraum.
Bremens Bürgermeister Henning Scherf hat den niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel gestern in Brüssel getroffen. „Es gab eine gute Atmosphäre“, berichtet Regierungssprecher Klaus Schlösser, Gabriel habe in seinem Dienstwagen Scherf zum Flughafen gefahren. Allerdings hatte Gabriel das Papier noch nicht gelesen. In der Sache soll irgendwann später einmal geredet werden.
Auf die Kritik des Finanzsenators wollte Schlösser nicht reagieren. Perschau sei ja auf den Kanaren. „Wenn der eine Bürgermeister aus Brüssel zurück ist und der andere von seinem Urlaub, dann werden sich beide darüber unterhalten, was hier los war.“ K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen