Neu in der Kreuzberger Schule

„Noch heute wird uns vorgeworfen, wir seien ein Produkt, nur weil wir eine Mädchenband sind“: Die Lemonbabies wehren sich wacker gegen stereotype Zuschreibungen, müssen aber mit ihrem vierten Album „Now+Forever“ endlich Popstars werden

von THOMAS WINKLER

Vor kurzem hat Diane Weigmann, Gitarristin und Hauptsongschreiberin der Lemonbabies, ein Duett aufgenommen mit ihrem guten Freund Bela B. Felsenheimer, dem singenden Trommler der Ärzte. Seitdem bekommt sie als vermeintliche Nebenbuhlerin böse Briefe von verliebten Fans der besten Band der Welt aus Berlin. Es ist ihre bislang vehementeste Konfrontation mit dem Stardasein.

Weil Bela ein guter Freund ist, erzählt er Weigmann manchmal Geschichten aus den 80er-Jahren. Es war eine glückliche Zeit damals in Westberlin. Abgeriegelt von der restlichen Welt entstand vor allem in Kreuzberg eine heimelige Szene, die von außen eher belächelt wurde, sich stets aber selbst genügte. Für Weigmann sind das nicht nur Geschichten aus einer untergegangenen Welt, sondern auch aus einer völlig unbekannten. „Die alten Zeiten, von denen Bela erzählt“, sagt Weigmann, „die sind ein Mysterium für mich.“

Damals waren die Lemonbabies noch viel zu jung, um sich in besetzten Häusern und schummrigen Souterrainkneipen rumzutreiben. Trotzdem werden sie nun, nach mehr als zehn Jahren im Geschäft, mit ihrem vierten und neuesten Album, „Now+Forever“, doch tatsächlich als einer der letzten Überreste dieser Kreuzberger 80er-Jahre rezipiert. „Ja, das ist schon komisch“, meint Weigmann. Und Schlagzeugerin Julia Gehrmann sagt: „Eigentlich bin ich überzeugte Wilmersdorferin oder Charlottenburgerin, weil ich da aufgewachsen bin.“ Die beiden sind noch von der Originalbesetzung übrig geblieben, die sich im April 1989 im Haus der Jugend in Zehlendorf zusammentat. Damals war man noch nicht einmal volljährig. Bassistin Barbara Hanff und Keyboarderin Katharina Matthies komplettieren die aktuelle Besetzung.

Inzwischen wohnen alle Lemonbabies in Kreuzberg. Oder zumindest in Neukölln, in Grenznähe also. Stammkneipe und verlängertes Wohnzimmer ist die Ankerklause an der Kottbusser Brücke. Dort empfängt man Journalisten und trinkt abends sein Bier. Dort frühstückt zum Zeitpunkt des Interviews ein paar Tische weiter zufällig der eigene Manager. Dort träumt man immer noch tapfer von der Karriere als Popstar. Eine Karriere, die vorprogrammiert schien. Vor neun Jahren – die Lemonbabies konnten kaum ihre Instrumente richtig halten – gewannen sie die Westberliner Institution „Senatsrockwettbewerb“. Es folgten ein ständiges Üben vor Publikum, ein Aufbauvertrag bei einer großen Plattenfirma, der Girlie-Hype und Alben wie „Pussy!Pop“. Doch es passierte: nichts. Oder nicht so richtig was. Von jeder Platte verkaufen sie mehr als von der davor, erzählt Weigmann: „Ich hoffe, dass es immer weitergehen kann, insofern ist meine kleine Welt in Ordnung.“

Man glaubt es ihr, aber der mitunter süßliche Gitarrenpop, den die Lemonbabies auch auf „Now+Forever“ wieder abliefern, schreit nicht nach einer halbwegs abgesicherten Independent-Existenz in einer höchstpersönlich frei geschaufelten Nische, sondern eigentlich nach der großen Bühne, nach den Charts.

So wirkt diese Musik seltsam amputiert: Musik, die Hit sein will, aber nicht Hit wird. Die Lemonbabies selbst sehen die Gründe dafür im System. Weil sie sich nie auf ihre Rolle als „Gören“ (B.Z.) festlegen lassen wollten, weil sie die Teilnahme am Girlie-Hype verweigerten. Weil sie nicht deutsch singen wollten. „Noch heute wird uns vorgeworfen“, erzählt Weigmann, „wir seien ein Produkt, nur weil wir eine Mädchenband sind.“ Dabei habe man ausreichend „abstruse Angebote“ ausgeschlagen, sich ein mediengerechteres Image zimmern zu lassen.

Doch auch nun werden Homestorys mit bunten Fotos gedruckt und man kann lesen, dass Weigmann zwischen „gelben, roten und orange gemusterten Wänden“ wohnt. „Wir brauchen momentan jeden Artikel“, sagt Weigmann, und es klingt weder verzweifelt noch ironisch. Sie ist lange genug dabei, um realistisch einzuschätzen, dass der Zug für die Lemonbabies wahrscheinlich abgefahren ist. Zwar gibt es immer wieder „Momente, in denen uns Panik überfällt“, aber um die Zukunft ist ihnen nicht bange, zu viele „praktische Erfahrungen“ habe man in all den Jahren angesammelt, zu viele Jobs gebe es im Musikgeschäft, und notfalls könne man immer noch Gitarrenunterricht geben.

Was bleibt, ist die Band als Familienersatz. „Wir sind nicht nur Arbeitskolleginnen, sondern auch vier Freundinnen“, sagt Gehrmann, „sonst würde das auch nicht funktionieren.“ Was noch bleibt, ist natürlich auch einfach der Wunsch, Musik zu machen. Und die wird, man muss es so sagen, immer erwachsener. „Reifer“, sagen sie selbst, jede Platte klinge so, wie das Jahr zuvor war. Das soll bedeuten, dass die nächste Platte ganz anders werden kann oder auch wie früher. Vorerst aber wagt sich mancher Song gar ans Elegische, Symphonische, auch wenn es doch immerzu Pop bleiben muss.

Eine Hoffnung aber, die werden die Lemonbabies bei allen Einsichten und Ernüchterungen nie aufgeben: einmal einen richtigen Hit haben, einmal ein Star sein. Nicht nur mit dem Federballschläger vor dem Spiegel, nicht nur in Kreuzberg.

Draußen, am Maybachufer, bauen sie im Nieselregen gerade die Marktstände auf. „Ich fühle mich nicht als Überbleibsel“, sagt Diane Weigmann, während sie aus dem Fenster schaut. Es klingt gar nicht mal trotzig. Eher genügsam, ja fast zufrieden. „Ich fühle mich als Individuum, das Musik macht.“

Lemonbabies: „Now + Forever“ (Four Music/Sony)