: Back from San Francisco
■ Der Beat-Generation-Nachkomme Philipp Schiemann liest am Donnerstag im Lagerhaus
Alle sind sie abgetreten, früher oder später: Burroughs, Bukowski, Kerouac, Leary, Ginsberg, Cassady. Einer hat überlebt: Lawrence Ferlinghetti, der letztes Jahr die Dreistigkeit besaß, die Schwelle von 80 Jahren heile zu überschreiten. Berühmt wurde er zunächst als Verleger, und zwar der von Ginsberg. Dessen Mammutgedicht „Howl“ wurde 1956 wegen angeblicher Obszönitäten mit Pauken und Trompeten vor Gericht gestellt und erlangte somit die Berühmtheit des Berüchtigten. Später dann fanden auch Ferlinghettis eigene Gedichte über den „Zirkus in der Seele“ und die diversen Desaster außerhalb dieser komisch-euphorischen Seele – Konsumgeilheit, Kalter Krieg, Hiroshima – Aufmerksamkeit. Etwa 700.000 Mal hat sich „A Coney Island of the mind“ weltweit verkauft. Nicht schlecht für Lyrik.
Der Düsseldorfer Autor, Musiker, Schauspieler, Filmemacher, Maler und Mensch Philipp Schiemann hat den alten Herrn der Beat Generation in seinem City Light Bookstore, 261, Columbus Avenue in San Francisco zwischen China Town und dem Italienerviertel North Beach aufgesucht und weil man schon mal da ist gleich noch neun andere Autoren in town mit dazu. Möglich gemacht hat des jungen Meisters Lehr-und Wanderjahr das Goethe-Institut. Die Ergebnisse dieser Bildungsreise wird Schiemann in Bälde auf CD ablegen, das Eigene mit dem Fremden munter aufmischend.
Im Lagerhaus wird Philipp Schiemann sowohl aus seinem neuen Gedichtband „Natürliche Auslese“ lesen als auch aus „Suicide City“ (Killroy Verlag). Letzteres umfasst genau 70 Seiten und nennt sich deshalb bescheiden „Erzählung“, obwohl die Vorkommnisse darin locker für einen fetten Roman ausreichen würden. Der Ich-Erzähler wird in einer Tour überfallen. Mal von Bullen, nervigen Drogentherapeuten und bekifften, lüsternen Ladies, öfters aber von den unberechenbaren Vorgängen seines eigenen Stoffwechsels und von Visionen, die teils eher lustig sind, teils eher gruselig, aber immer irgendwas mit schwarzen Nutten, abgeschnittenen Schwänzen, wüsten Derwischtänzen in Bahnhofshallen, merkwürdigen Diskos mit Pfurzkonzerten und Ähnlichem zu tun haben. „Es entgleitet mir alles ein wenig“, heißt es in unnachahmlicher Schiemann-Lakonie.
Lexotanil, Tranxilium, Captagon, Haldol, Librium, Atosil, Speed und Bier heißen des Helden wichtigste Freunde wie Feinde – und schon wird klar, woher Philipp Schiemanns Liebe zur Beat Generation rührt; es ist eine Art Bluts-Brüderschaft, sedimentiert in jeder einzelnen Körperzelle. In Gedichten aber geiselt Schiemann jedes rückwärtige Fantum: „Unser Nostalgie-Bullshit / für ein Zeitalter / das nie existiert hat / Unser Fantasy-Flickenteppich / vom verlorenen Paradies / Jaja / die Beat Generation.“ Er selbst brachte das Drogen-Thema ebenso konsequent wie schnell hinter sich. „1984 (da war er zarte 15) wurde Schiemann süchtig und blieb es 6 Jahre“, erzählt seine Kurzbiografie. Jetzt ist Schiemann 30 Jahre alt und das einzige Rest-Laster scheint seine Tätowierung der ganzen rechten Körperseite zu sein.
Immerhin sein Erzähltempo ist noch voll auf speed. Dass eine Computertomografie Löcher im Hirn des Helden entdeckte, dass er in Kindertagen Plastiksoldaten abfackelte, derlei unerhebliche Kleinigkeiten werden in Nebensätze verbannt. Immerhin einen ganzen Satz verdienen etwas blutigere Vorgänge, etwa ein zielsicherer Beinschuss bei einem Raubüberfall oder ein Gesicht, das sich an einer heißen Herdplatte festgeschweißt hat. In „Suicide City“ hat der Punkt endlich mal Sinn. Er markiert die Grenze von einem Vorgang zum nächsten. Bei so rasantem Tempo bleibt natürlich wenig Zeit für Larmoyanz und Einfühlungsgewinsel. „Sam Peckinpah hätte es nicht fulminanter inszenieren können“, heißt es über einen wunderschönen showdown – und der ist bekanntlich ein Meister der Unerbittlichkeit. Aber hätte Peckinpah so liebevoll die Beziehung eines berauschten Hirns zu einer abgepackten Salami im Kühlregal beschreiben können, wie Schiemann das tut? Niemals. Am Ende dieser psychischen Achterbahnfahrt des Helden ist auch dem Leser schwindlig wie nach Drogenkonsum und so fügt sich die Form zum Inhalt.
Schiemann und Drogen, das hat weder etwas zu tun mit Warnung noch mit Heroisierung oder Romantisierung. Eher ist der Junkie eine Metapher für die große Unfreiwilligkeit, jenes permanente Geschubstwerden des Menschen, von einer Station zur nächsten. Er ist eine Art moderner Candide oder Simplizissimus, und genauso lus-tig, brutal, aber auch spannend wie deren Schicksal im Krieg, lesen sich die Abenteuer des Junkies im inneren Krieg.
Weil er so schön trocken und rauh lesen kann und weil es in ihm punkrockt auch wenn er gerade mal nicht mit seiner Band „Conscious“ (zusammen mit Legende Jeff Dahl) spielt, sollte man ihn sich live nicht entgehen lassen. Und weil er auf Einladung von Günter Kahrs' Keller da ist, gibt es dazu noch jede Menge slam poetry aus Bremen. Seit diese Kunstgattung nicht mehr dauernd in Zeitschriften wie Brigitte oder Cosmopolitan mit Lustschaudern hofiert wird, hört man sie auch wieder gerne. bk
16. März, 20 h „Keller on tour“ im Lagerhaus, Schildstraße
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen