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Etwas ist faul im Staate Ruanda

Premierminister ausgetauscht, Parlamentspräsident ins Exil getrieben, Präsidentenberater erschossen: Ein mit harten Bandagen ausgefochtener Machtkampf an der Staatsspitze erschüttert Ruanda und verunsichert die Bevölkerung

Schon in den Jahren vor dem Völkermord wurde Ruanda von politischen Morden durch Todesschwadronen destabilisiert. Heute heißt es wieder: „Wir wissen nicht mehr, wer das Land regiert.“

von DOMINIC JOHNSON

Es war eine klassische Hinrichtung. Als Assiel Kabera am 5. März gegen 22 Uhr in Ruandas Hauptstadt Kigali nach Hause kam, eröffneten Männer in Militäruniformen auf ihn das Feuer. Kabera war sofort tot. Die Mörder stiegen in ein wartendes Auto und fuhren davon.

Kabera war hoher Berater des Präsidenten von Ruanda, Pasteur Bizimungu, und Leiter einer Organisation der Tutsi-Überlebenden des ruandischen Völkermordes, der sogenannten rescapés. Er lebte in einem Gebiet, wo die Präsidialgarde patroullierte. Die aber blieb untätig.

Nicht nur dies führte Nachbarn und Beobachter zum Schluss, es handele sich um einen politischen Mord. Kabera war unbequem. Er war ein enger Freund einer Person, die Ruandas Regierung in den letzten Monaten viel zu schaffen gemacht hate: Joseph Sebarenzi, ebenfalls rescapé und bis Januar Parlamentspräsident von Ruanda.

Der jetzt im Exil lebende Sebarenzi war aufgrund seiner Antikorruptionskampagnen der größte Stachel im Fleisch der in Ruanda herrschenden Ruandischen Patriotischen Front (RPF) – die ehemalige Tutsi-Guerilla, die 1994 das für den Völkermord an Ruandas Tutsi verantwortliche Regime stürzte und seither regiert. Im März 1997 übernahm Sebarenzi die Leitung des ruandischen Übergangsparlaments und machte aus der nicht gewählten Legislative eine Gegenmacht zur Regierung. Als Ergebnis von parlamentarischen Untersuchungen mussten Oktober 1999 zwei Hutu-Minister abtreten.

Aber als Sebarenzi sich Patrick Mazimphaka vornahm, Staatsminister im Präsidentenamt, begehrte die RPF auf. Mazimphaka gehört zu ihrem innersten Machtzirkel. Die RPF setzte Sebarenzi massiv unter Druck. Am 6. Januar trat er als Parlamentspräsident zurück. Am 23. Januar floh er heimlich nach Uganda. Inzwischen soll er in Nordamerika sein.

So erledigte die RPF ihren wohl gefährlichsten Konkurrenten. Mit dem Nimbus des Völkermordüberlebenden und Antikorruptionskämpfers zugleich war Sebarenzi unter Tutsi wie Hutu immer beliebter geworden und hätte bei den für 2003 angesetzten Präsidentschaftswahlen ein ernst zu nehmender Widersacher für RPF-Führer Paul Kagame werden können.

Seit Sebarenzis Flucht nehmen die politischen Erschütterungen in Ruanda kein Ende. Mehrere Soldaten, die Sebarenzi außer Landes geschafft haben sollen, wurden hingerichtet. Die kompletten Spitzen von Armee und Polizei wurden ausgetauscht. Premierminister Fred Rwigyema trat zurück. Gestern nahm sein Nachfolger die Amtsgeschäfte auf – Bernard Makuza, bisher ruandischer Botschafter in Deutschland.

Aber was soll Makuza, der als Freund Kagames gilt, anrichten in einer politischen Lage, die so verworren ist wie nie seit dem Völkermord? Die Regierung ist paranoid, die Bevölkerung spürt politische Instabilität, der Krieg im benachbarten Kongo geht für Ruanda schlecht. Es sind die sichtbaren Zeichen eines Machtkampfs an der Staatsspitze, bei dem sogar die Stellung des mächtigsten Mannes in Ruanda, Vizepräsident und Verteidigungsminister Paul Kagame, nicht mehr unumstritten scheint. Kagame hatte Sebarenzis Bemühungen des Parlaments um Korruptionsbekämpfung gefördert. Nun greift er mit harter Hand durch, um seine Autorität zu beweisen.

Dazu kommen wachsende Spannungen innerhalb Ruandas Tutsi-Minderheit. Die RPF-Führung ist zum größeren Teil in Uganda aufgewachsen; sie stammt von 1959 aus Ruanda geflohenen Tutsi ab, gründete die RPF im ugandischen Exil und kehrte erst mit der RPF-Machtergreifung 1994 nach Ruanda zurück. Die so genannten rescapés – jene Tutsi, die immer in Ruanda blieben und den Genozid überlebten – fühlen sich von dieser Machtelite marginalisiert. Sebarenzi war ihr prominentester Vertreter.

Neuer Parlamentspräsident wurde jetzt ein wegen Inkompetenz entlassener Exminister. Er hat ein drakonisches Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen auf die Tagesordnung gesetzt: Sie sollen sich alle neu registrieren lassen, und ihre Führungen müssen von der Regierung bestätigt werden. Die kurze Blütezeit von mehr zivilgesellschaftlichen Spielräumen scheint vorbei zu sein.

Der Mord an Assiel Kabera war außerdem Teil einer mysteriösen Serie. Am 26. Februar starb die Geschäftsfrau Antoinette Kagaju bei einem Anschlag. In der Nacht zum 5. März wurde ein liberianischer UN-Mitarbeiter erschossen. Die Menschenrechtsorganisation Cladho fordert jetzt die Regierung auf, die Täter zu identifizieren, „um zu verhindern, dass eine Verbrechenssituation entsteht, wie sie am Vorabend des Genozids vom 6. April 1994 herrschte“.

Denn auch in den Jahren vor dem Völkermord wurde Ruanda von politischen Morden durch Todesschwadronen destabilisiert. Heute hört man aus Kigali wieder die damals verbreitete Klage: „Wir wissen nicht mehr, wer das Land regiert. In dieser Situation ist alles möglich.“

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