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Ohne Techno kein Effekt

Geile Schnalle mit rasender Intelligenz und noch mehr Einfällen und Launen, aber auch eine Art Helmut Kohl: Zehn Thesen zu Leben und Wirken des einstigen „Frontpage“-Chefs Jürgen Laarmann

von JÖRG SUNDERMEIER

Jürgen Laarmann ist eine geile Schnalle. Und noch immer eine imposante Gestalt: Wenn der einstige Techno-Großmogul Mitte durchschreitet, schauen ihm die Leute nach. Doch ist Jürgen Laarmann, den sie einst „JL“ nannten, heutzutage vor allem eine pompöse Figur. Als solche schreibt er für Postillen wie 030, Raveline, Loop oder B.Z. Andererseits sagen ihm viele eine rasende Intelligenz nach. Wer also ist Jürgen Laarmann?

1. Anfang der Neunziger war Laarmann der Alleinherrscher über die wichtigste Zeitschrift der Technoheads: Frontpage. Das 1989 von ihm entwickelte Magazin wurde Jahr für Jahr komplett relauncht, und obwohl jeden Monat aus egal welcher Stadt keine andere Botschaft kam als die, dass Spaß Spaß ist, berichtete die Frontpage von immer noch neuerem Spaß. Das Layout machte es möglich. Und die Einfälle des Chefs: Wenn der Spaß nichts mehr hergab, wurde beispielsweise die nur sacht vor sich hin glimmende Konkurrenz zwischen Frankfurt/Main und Berlin kräftig geschürt. Das fand Laarmann lustig, damit steigerte er die Auflage rasant.

2. Als Kind der Achtziger weiß Laarmann, dass es nichts Schlimmeres als Langeweile gibt. Und genauso weiß er, dass es über das Partyuniversum oder das Leben nicht viel Geiles zu schreiben gibt – insbesondere weil er eine zu große Intellektualisierung eher fürchtet. Darum ersetzt bei ihm der Effekt den Diskurs. Insofern ist Laarmann eine Art Helmut Kohl – im Patriarchalischen wie im Großmännischen. Und wie Kohl kann es sich Laarmann vor sich selbst nicht leisten, nur einer unter vielen zu sein.

3. Früher gab ihm der Erfolg recht: Neben der Frontpage war er maßgeblich an der Entwicklung der Mayday und der Love Parade beteiligt. Doch irgendwann dankten die Leute ihrem Laarmann seine Einfälle und Launen nicht mehr. Die Frontpage ging 1997 ein, Laarmann schied aus Mayday und Love Parade aus und verschwand erst einmal für einige Monate. Wie immer, wenn Patriarchen fallen, höhnten die Vatermörder – es gab nicht wenige, die Laarmann arg verlachten. Und bei Laarmann war die Fallhöhe beträchtlich.

4. Dann erst entdeckten die Leute, dass nicht nur Laarmann, sondern auch Techno einer anderen Zeit angehörte. Das nicht zuletzt dank Laarmann. 1998 meldete Laarmann sich zurück. In der Raveline startete er die Kolumne „Beyond Techno“ und verkündete, dass es ein Konzert von James Brown locker mit allen Raves aufnehmen könne. Noch einmal hatte der Ex-König seine einstige Gemeinde vor den Kopf geschlagen.

5. Der Tagesspiegel erlaubte sich im letzten Jahr einen merkwürdigen Vergleich zwischen Laarmann und Dimitri Hegemann, dem Besitzer des Tresors. Fixiert auf den Vergleich des geschäftlichen Erfolges, blieb den Autoren des Tagesspiegels nichts anderes übrig als Häme. Doch Jürgen Laarmann kann man nicht auf dieser Ebene begreifen. Bei ihm geht es nur um Einfälle.

6. Wenn er heute von VIP-Treffpunkt zu VIP-Treffpunkt zieht, fehlt ihm die Aura des Machers. Mehr denn je ist Jürgen Laarmann ein Ass in der Beurteilung von Werbekampagnen oder neuen Zeitschriftenprojekten. Doch als Beobachter ist er kaum noch gefragt. Laarmanns Kolumne „Berlin Mitte Boy“ in 030 handelt in der Hauptsache von der Erkenntnis, wie zweitrangig seine Gedanken zur Gastronomie in Mitte sind. Die Lustlosigkeit, mit der die Themen gewählt sind, schlägt sich in der Thesenlosigkeit und dem Desinteresse der Texte an Stil und Form nieder.

7. Neuerdings hört man, dass Laarmann ein Stück geschrieben habe: „Canossa Club“. Es soll demnächst in Kassel uraufgeführt werden. Zu hören ist auch, dass in dem Stück Girls, Hitlers Koks und Funfunfun das Spektakel machen, aber die Langeweile in den VIP-Lounges das eigentliche Thema wäre.

8. Auch in seiner groß angekündigten Fortsetzung der Frontpage im Internet (www.jlfrontpage.de) zeigt sich Laarmann eher lustlos. Artikel brechen mitten im Satz ab, einige Rubriken sind selten auf dem neuesten Stand, Gossip wird stichwortartig niedergehackt. Auch Laarmanns sexistischer Boy-Begriff, der sich in Sätzen niederschlägt wie „JLFrontpage ist ein Magazin für Boys aller Alterklassen, die sich für alle Dinge des modernen Lebens interessieren. Natürlich auch für Girls, die wissen wollen, für was sich die Boys interessieren“, mag man kaum als eine Randerscheinung des Hedonismus wahrnehmen. Da ist es auch egal, dass sich Laarmann auf eine diffuse Art als Linker versteht.

9. Allerdings finden sich auf Laarmanns Website auch Betrachtungen, die seltsam intim sind und den Mogul als verletzlichen Mann zeigen. Hier staken die Texte nicht ideen- und lustlos durch die Gegend, sondern sind in ihrer Dichte beinahe Literatur. Diese Texte sind selbst da, wo sie belanglos sind, auf eine höhere Art schön.

10. Gerade weil Laarmann sich im Internet von seiner Rolle als „König“ verabschiedet und bereit ist, sie zu reflektieren, erwartet man wieder etwas von ihm. Einen Roman jedenfalls hat er schon mal angekündigt, und vielleicht erfüllt er damit endlich, was er seit Jahren verspricht: eine Bilanz.

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