: Bombenstimmung in Österreich
Das Broadway-Musical „The Sound Of Music“ in einer Inszenierung von Robert Lehmeier an der Neuköllner Oper
Schon im Treppenhaus der Neuköllner Oper begegnen einem jene Landschaftsgemälde, wie man sie – mal mit, mal ohne Hirsch – allenthalben auf dem Flohmarkt findet. Im Theatersaal gibt es gleich ein ganzes Dutzend davon. Auch ein großes Porträt von Jörg Haider ziert die Treppenwand, und auch dafür hat die Inszenierung entsprechende bühnenbildnerische Pendants: jede Menge Hitler-Porträts.
„The Sound Of Music“, das legendäre Broadway-Erfolgs-Musical von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein, nun plötzlich voll tagespolitischer Brisanz? Keine Sorge: Der Kitsch bleibt Kitsch. Zwanghaftes Politkabarett hat Regisseur Robert Lehmeier aus dem Singspiel nicht gemacht, aber den historischen Hintergrund durchaus ernsthaft miteinbezogen.
Wir schreiben das Jahr 1938, und die Alpenrepublik kehrt heim ins Reich. Alle Österreicher recken plötzlich ihre Arme, nur einer widersetzt sich standhaft dem neuen Geist aus Berlin. Der verwitwete K. u. k.-Veteran und Ex-U-Bootkapitän von Trapp (schneidig: Erwin Bruhn). Statt der NS-Marine zu dienen, wird er mit seiner Familie aus dem Reich gen Amerika fliehen. Seine Familie: sieben Kinder und seine Frau, eine stetig singende, herzensgute Ex-Novizin, die ihren Platz im Kloster mit dem an seiner Seite getauscht hat.
Die Trapp-Familie hat es wirklich gegeben. In den USA machten sie als Vorreiter der Kelly Family ihr Glück. Wolfgang Liebeneiner, der ihre Geschichte 1956 und 1958 verfilmte, sorgte damit für einen der größten deutschen Kinoerfolge der Nachkriegszeit. Damals wurde der Stoff rührselig bis zum letzten Schmalztropfen angerichtet. Heute kann man dem nur noch ordentlich ironisch beikommen.
Die Neuköllner Oper hat sich für diese Produktion in ein Festzelt verwandelt. Die Zuschauer sitzen an Biertischen, an den Wänden leuchten geblümte Tapeten und besagte Gebirgslandschaften. Von Trapp liegt in einer großen Badewanne und spielt Kapitän. Im Fernsehen flimmert ein Film mit Luise Trenker, später einer mit Leni Riefenstahl.
Robert Lehmeier und sein Bühnenbildner Erwin Bode liefern eine Gaudi zum Schenkelklatschen, die aber Verstand hat und weder das Musical noch die Figuren denunziert. Antje Rietz als Ehefrau Maria ist ein erbarmungslos naives Ding, aber glaubhaft und extrem liebenswürdig. Die sieben Gören gehen einem mit ihrer ungezogenen Art auf den Geist, aber man bemitleidet sie, wenn sie vom Vater gedrillt werden.
Die Inszenierung hebt immer wieder mal ab und versteigt sich in schrägen Ideen – Nonnen, die Groschenromane lesen, eine Karl-Moik-Verarsche –, aber die Geschichte wird nie dem Kalauer geopfert. Und auch die Musik wird mit Respekt behandelt. Rodgers hat Volkstümliches auf derart ohrwurmtaugliche Art nachempfunden, dass man selbst als Stadl-Hasser ins Mitsummen gerät.
Zwar hat die Neuköllner Oper mit dieser Produktion heftig geklotzt und Akteure gleich im Dutzend auf der Bühne. Für den Geigenteppich aber hat es nicht gereicht. Winfried Radekes Arrangement begnügt sich mit ganzen sechs Musikern. Die aber sorgen für eine Bomben-Stimmung und den authentischen „Sound of Austrian Music“. So viel Spaß jedenfalls war schon lange nicht mehr, und so viel Ideenreichtum auf zweieinhalb Stunden auch nicht. AXEL SCHOCK
Nächste Vorstellungen: 15., 18., 24.–25., 30. 31. 3., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133, Neukölln
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen