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standbild Sisyphus als Held

„Menschen hautnah: Ein Mann sieht braun. Im Einsatz gegen Neonazis“ (Mo., 22.30 Uhr, WDR)

Ein einsamer Mann sitzt vor seinem Computer. Auf dem Bildschirm läuft eine endlose Kette von Horrormeldungen ab: Rassistischer Übergriff in Guben, rechtsradikale Anschläge in Prenzlau und Belzig ... Der Mann springt in sein Auto und tritt in Aktion: In einem Jenaer Gymnasium muss der „Thüringer Heimatschutz“ in seine Schranken verwiesen, in Hohenschönhausen einer Gruppe junger Rechtsradikaler beim Schwadronieren über „ausländische Mitbürger“ zugehört werden. Der Mann greift nicht ein, speichert das Gehörte sorgfältig ab – für den Kampf gegen den seit der Vereinigung „anwachsenden Rechtsextremismus“.

„Ein Mann sieht braun“ ist eine Heldensaga. Der Held heißt Bernd Wagner, 44 Jahre, einst Oberstleutnant der Kriminalpolizei der DDR, dann als unbelasteter Stasi-Gegner von der neuen Regierung zum obersten Staatsschützer der neuen Bundesländer ernannt, aufgrund weiterhin regierungskritischer Gesinnung aber ins Abseits gedrängt, heute Leiter eines 16-köpfigen Mobilen Beratungsteams in Brandenburg. Sein Job: Initiativen gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu unterstützen, die Normalität des Wegschauens zu bekämpfen.

Dass nur der WDR dieses ostdeutsche Porträt in Auftrag gab, nicht einmal in Koproduktion mit SFB/ORB oder MDR, sagt viel über die deutsche Medienlandschaft zehn Jahre nach der Vereinigung. Vier von fünf größeren Berichten über den Rechtsextremismus handeln im Osten, entstehen aber in westdeutschen Verlags- und Funkhäusern. „Der Westen betreibt Ost-Ethnologie“ (Prof. Gerhard Schmidtchen).

Gezeigt wurde das (für westdeutsche Augen) Exotische: Kurzhaarige in Bomberjacken, für die Rechtsrock-Schlager à la „Zillertaler Türkenjäger“ alltäglich sind, die „national befreite Zonen“ planen und sich manchmal sogar über die rassistische Radikalität ihrer Eltern wundern. Diese Eltern kamen nicht zu Wort, auch nicht die bunten Szenen antirassistisch engagierter Jugendlicher – und schon gar nicht die Repräsentanten der Verdrängungspolitik, die häufig aus ideologischem Opportunismus und Realitätsblindheit das Engagement nicht nur von Bernd Wagner in eine psychisch und körperlich zermürbende Sisyphusarbeit verwandeln: ein Mann, fast ganz allein gegen seine eigene Monokulti-Heimat. KLAUS FARIN

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