piwik no script img

Wir sind alle Beck

Junge, komm bald wieder ins Kinderzimmer: Der Slacker-König Beck zerstörte in der Columbiahalle mit einer kruden und zitatlastigen Freakshow die Logik der Sexgesetze

Dieses Mal reist er gleich in Fußballmannschaftsstärke durch die Lande. Zu elft lässt sich das doch relativ komplizierte Geflecht der Songs von Käpt’n Beck Hansen wenigstens einigermaßen originalgetreu wiedergeben. Was auch irgendwie Quatsch ist, denn Becks Zeugs ist ja gerade die grandiose Feier des Verschwindens der Originale. Also hat er allein drei Mann auf der rechten Bühnenhälfte, die mit menschlichen Mitteln und Blasinstrumenten Samples tröten. Hübsch, wie die Elf im Gleichtakt ihre Körper bewegt, als sei sie die Reinkarnation von Devo, die neben Grandmaster Flash, Buñuel oder Henry Miller prägende Figuren in Becks Kindheit und Jugend waren.

„We are not men, we are Beck“, könnte die schwitzende und kiffende Menge in der ausverkauften Columbiahalle vielleicht sogar von sich sagen. Alle lieben den Jungen mit dem Fluxus-Onkel. Beck, der Frickeltyp aus der Garage nebenan, dieser spindelige Hänfling, trägt diesmal keinen seiner schick-grausig bunten Anzüge. Relativ schlicht in schwarzer Lederhose und Shirt steht er auf der Bühne. Ansagen kommen eher spärlich, Beck ist mehr der Mann der Geste. Mal teilt er das Publikum mit einer forschen Vorwärtshandbewegung in zwei Hälften – was fast buddhistisch wirkt. Mal muss er sich wieder eine angefettete Haarsträhne aus dem Auge weghauen.

Der „Loser“ kommt gleich als dritter Song, Slackergesängen begegnet die Band durch Kürze. Irgendwie wirkt die erste halbe Stunde des Konzerts sowieso wie eine Art Schnelldurchlauf durchs Becksche Lebenswerk. In Roskilde hat Beck schon vor knapp drei Jahren bewiesen, dass er auch 30.000 Leute in Schach und grandios unterhalten kann. Damit war auch klar, dass er ein sehr unpeinlicher Stadionrocker sein könnte. Nur, wie macht das Männlein das? Ein Beck-Konzert hat immer auch etwas von einer Messe von Jüngern, die sich selbst versichern, dass sie diese krude Puzzlemusik Klasse finden können. Da freuen sich Menschen gemeinsam, dass ihnen endlich einer die Kinderzimmer aufräumt, das ihnen einer die Platten zerhaut, die sie aus heute unerfindlichen Gründen einst geliebt haben. Beck ist der Messias der Gegenwart, der Typ, der uns tausend Paralleluniversen um die Ohren haut, und wir schreien hurra.

„I don’t wanna die tonight“, singen die zwei richtig süßen Vordergrund-Background-Sängerinnen in der linken Bühnensektion. Beck wickelt sich später das Mikrokabel so um Hals und Oberkörper, als wäre die Show eine Maso-Nummer. Aber wirklich sexy ist Beck wohl auch nur in ironischer, gebrochener Art. Was ihn erst recht zum Schwarm vieler macht. Sein Keyboarder steht hinter einer echten Dreh-Orgel, das Teil steht auf einer großen, dicken Feder. Alles dreht sich um Beck. Das ist keine Band, das ist eine Freak-Show, Frank Zappas Mothers of Invention, allerdings noch in der völlig ausgefreakten 200-Motels-Phase in den Frühsiebzigern.

Beck ist sein eigenes und unser Zitat, und sicher wird er „die Logik unsrer Sexgesetze“ auf den Kopf stellen – wer sollte das besser können? Dann singt er Solo mit Gitarre „One Foot In The Grave“, auch das haut prima hin. Zurück kommt seine Band mit komischen Verkleidungen, ekligen Langhaarperücken (Devils Haircut!) und dicken Schulterpolstern wie beim Football. „Odelay!“, ruft Beck mehrmals. Jetzt knallen sie komplett durch, denkt man noch, dann ist auch schon Schluss. Als einige Zuschauer schon draußen sind und auch die Roadies die Stecker gezogen haben, kommt die „Band“ zurück. Sie spielt unverstärkt und schießt einen langen, gelben Schlauch ins Publikum. Jetzt haben wir den Salat: Beck ist ein Happening, das Ende ist nicht das Ende, und alles ist offen. Schön. ANDREAS BECKER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen