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Gentechnik-Aktien geknickt

Statements der Staatschefs Clinton und Blair für die Freiheit der Forschung auchim Bereich des menschlichen Erbguts sorgt für Kurssturz der Biotechnik-Aktien

BERLIN taz ■ Zwei koordinierte Reden von US-Präsident Bill Clinton und dem britischen Premier Tony Blair haben in der Nacht zum Mittwoch die Aktien der Genindustrie auf Talfahrt gesandt. Der Biotech-Index an der US-Börse Nasdaq sackte um 13 Prozent ab, einzelne Firmen verloren weit über 20 Prozent ihres Wertes an einem einzigen Handelstag. Damit ist die Aktienrallye im Genmedizin-Bereich vorerst durch die Worte von höherer Stelle gestoppt.

Clinton und Blair hatten gefordert, dass der freie Zugang zum menschlichen Gencode für alle Forscher gesichert werden müsse. „Um alle Versprechen dieser Forschung zu verwirklichen, sollten die rohen fundamentalen Daten des menschlichen Genoms – inklusive der menschlichen DNA-Sequenz und ihrer Variationen – Wissenschaftlern überall frei verfügbar sein“, hieß es in dem Statement, dem angeblich monatelange Abstimmungen der beiden Regierungen vorausgegangen waren. Über gesetzliche Schritte der Staaten, um den freien Zugang zu sichern, wurde nichts bekannt.

Was vielen eine Selbstverständlichkeit scheint, sehen einige in der Genforschergemeinde durch die private Firma Celera Genomics (www.celera.com) gefährdet. Sie hat ein Rennen um die vollständige Katalogisierung des menschlichen Erbguts ausgelöst. Hinter der Firma steht der bekannte US-Forscher Craig Venter. Mit dem Kapital seiner Geldgeber aus der Pharmaindustrie hat er Maschinen angeschafft und will in den nächsten Monaten ein Verzeichnis aller Puzzlesteine des menschlichen Erbguts, das so genannte Genom, veröffentlichen. Damit würde er den meist öffentlich geförderten Forschern des weltweiten Human Genome Projects (Hugo) zuvorkommen. Hugo veröffentlicht alle Ergebnisse im Internet.

Venters Celera hat laut eigener Ankündigung vom Oktober 6.500 Patente auf das menschliche Genom angemeldet. Andererseits hat er öffentlichen Forschern Zugang zu seinen Daten zugesichert – gratis oder gegen eine „geringe“ Gebühr. Nur kommerzielle Konkurrenten will er von den Daten fernhalten.

Grundsätzlich ist es für Celera vorteilhaft, mit Hugo zusammenarbeiten, weil eine Kombination der Ergebnisse ein wesentlich deutlicheres Bild des Bauplans des menschlichen Erbguts ergeben würde. Nur so lassen sich die genetischen Puzzlesteine sicher zu einem Bild zusammensetzen. Die Verhandlungen über eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Genjägern waren jedoch in der vergangenen Woche gescheitert.

Nach den umstrittenen internationalen Regeln zum Patentrecht sind drei Prozent des menschlichen Erbguts patentierbar, und zwar die etwa 100.000 Gene. Das menschliche Genom insgesamt ist nicht patentierbar. Es besteht aus langen Molekülen von Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA. In etwa drei Milliarden so genannten Basenpaaren sind Informationen über Augenfarbe, Krankheiten oder chemische Abläufe im Körper versteckt.

Selbst wenn diese Basenpaare vollständig katalogisiert sein werden, ist das noch keine Entschlüsselung des Erbguts. Denn viele Eigenschaften sitzen auf verschiedenen Genen gleichzeitig. Die Suche nach den wichtigen und damit patentierbaren Stellen im Erbgut ist kompliziert. Und aus dem Wissen dann eine lukrative Behandlungsmethode zu gewinnen, noch komplizierter. Doch genau darauf setzen die Aktionäre der Biotech-Firmen.

REINER METZGER

Zur Clinton-Rede:

http://www.usnewswire.com/top news/Current_Releases/0314-140.htmlHugo: www.nhgri.nih.gov, www.ncbi.nlm.nih.gov/genemapp99Zu Genpatenten: www.greenpeace .de/GP_SYSTEM/11U1E5CD.HTM

Kommentar SEITE 11

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