Grimmen und Rauschen

Heute wird in Marl der 36. Adolf Grimme Preis verliehen. Seit einem Jahr macht ihm der Deutsche Fernsehpreis Konkurrenz. Doch die Übergänge zwischen den beiden Wettbewerben sind fließend

von STEFFEN GRIMBERG

Wo liegt Marl-Mitte? Einmal jährlich verfährt sich die deutsche Fernsehbranche auf dem Weg zur Verleihung des Adolf Grimme Preises im nördlichen Ruhrgebiet. So wird es auch heute Abend wieder sein, wenn Deutschlands „TV-Oscar“ zum 36. Mal an die seit einer Woche feststehenden PreisträgerInnen feierlich übergeben wird.

Und doch ist nichts mehr so wie früher: In den vergangenen 35 Jahren stand der Grimme-Preis als Maßstab für Qualität im Fernsehen schlechthin, und keine der sendereigenen Selbstbeweihräucherungsgalas wie der „Telestar“ von ARD und ZDF noch RTLs „Goldener Löwe“ konnten ihm das Wasser reichen. Nur mit dem Glamour haperte es schon immer in Marl-Mitte.

Doch seit 1999 gibt es „Telestar“ und Goldlöwen nicht mehr, beide gingen auf im Deutschen Fernsehpreis, zu dem sich ARD und ZDF mit RTL und Sat.1 zusammengerauft haben. Qualität ist auch dessen Schlachtruf, zwar darf’s ein bisschen populärer als bei Grimme sein, doch gegen die Preisträger des 1. Deutschen Fernsehpreises (DFP) hätte auch in Marl niemand ernstliche Einwände gehabt: Großserien wie „Der Laden“ oder Thomas Schadts Gerhard-Schröder-Porträt „Der Kandidat“ nahmen gleich beide Preise mit.

Verschwinden Marl und Grimme-Preis also demnächst in der medialen Versenkung? – Nein, sagt natürlich Grimme-Institutsdirektor Hans Paukens. Denn der DFP bleibe bei allen Bemühungen um Qualitätssicherung natürlich ein Veranstalterpreis: Stifter sind die vier Sender, die auch ein besonderes Vorschlagsrecht haben, allerdings nicht in der Jury vertreten sind. Grimme hingegen ist garantierte Unabhängigkeit, hinter Institut und Preis steckt der Deutsche Volkshochschulverband (siehe Kasten), hier kann jeder, auch der normale Zuschauer, seine Favoriten vorschlagen. Außerdem, so Paukens, „hört die Wirkung des Grimme-Preises nicht mit der Verleihung auf. Das Spannungsfeld von Qualität und Fernsehen wird das Jahr über weiterdiskutiert.“ Der „Adolf Grimme Preis unterwegs“ bringt über die Volkshochschulen die ausgezeichneten Produktionen unter die Leute und soll Kontakt zwischen Machern und Publikum herstellen.

Die Krux: Während der Grimme-Preis mit einem Budget von 700.000 Mark fast geschenkt ist, kommt der DFP über 4 Millionen Mark schwer daher. Dafür ist natürlich ein bisschen mehr Glamour drin, auch wenn die DFP-Gala à la Hollywood 1999 noch im Schlamm der halb fertigen Studios von Köln-Ossendorf versank. „And the winner is ...“ zieht eben auch beim deutschen Fernsehvolk. Doch den Grimme-Organisatoren fehlte schon lange vor der DFP-Gründung die Traute, ihre Preisträger erst bei der Verleihung zu offenbaren. Dabei waren zwei Testläufe vor einigen Jahren durchaus von Erfolg gekrönt. „Ich hätte das auch lieber anders“, gibt Paukens zu. Doch: „Der Weg nach Marl ist schwieriger als in die Medienmetropolen“, und das eher kleine Marler Stadttheater, Tatort der alljährlichen Verleihung, sei schon voll.

Ein bisschen klingt das nach Augen zu und durch. Denn auch wenn das Land Nordrhein-Westfalen seine Zuwendungen für Institut und Preis in diesem Jahr um 200.000 Mark auf eine runde Million erhöht: RTL, Sat.1 und auch Vox, früher als Grimme-Sponsoren präsent, engagieren sich jetzt lieber beim DFP. Geblieben ist das ZDF; mit superRTL, Viva und Premiere World ist immerhin die zweite Garnitur der Privaten weiter in Marl vertreten. Und natürlich ist auch der Landessender WDR dabei, der früher sogar die Preisverleihung übertragen hat – 1999 allerdings schon abgeschoben auf einen nachtschlafenden Sendeplatz. Anno 2000 findet sich Grimme gar nicht mehr im WDR-Programm, allein 3sat zeigt eine Aufzeichnung der Preisverleihung – und die schon ab 23.15 Uhr.

„Die Übertragungspraxis dieses Heimatsenders WDR war schon immer eine Katastrophe“, lästert Paukens’ Vorgänger Lutz Hachmeister und verweist auf den BR, der den Bayerischen Fernsehpreis prominent im Programm platziert.

Der ehemalige Grimme-Chef sitzt heute in der Vorauswahlkommison des DFP, der seine konzeptionellen Marler Wurzeln nicht leugnen kann: Hier wie dort trifft ein Nominierungstrupp die Vorauswahl, entscheidet eine zweite Jury über die Preisträger. Diese vielfältigen „Verbindungslinien“ zwischen DFP und Grimme-Preis bewertet Hachmeister sogar eher positiv: Wirklich „unangenehme Konkurrenz“ sei das nicht, denn „wenn ein hartes kommerzielles Konzept wie der Goldene Löwe weiter ausgebaut worden wäre, der als Event durchaus seine Qualitäten hatte, wäre das für Grimme problematischer.“

Definiert werden beide Wettbewerbe aber letztlich durch die ausgezeichneten Produktionen. Und genau hier liegt für das Grimme-Institut das Kernproblem: „Vorbild für die zukünftige Fernsehpraxis“ sollen die Preisentscheidungen laut Satzung sein, was in der Vergangenheit zu einem reichlich eingeschränkten, allein durch die öffentlich-rechtlichen Programme besetzten Bild geführt hatte. Seit Anfang der Neunzigerjahre entdeckte man in Marl dann doch, dass auch das kommerzielle Fernsehen Qualität zu bieten hatte – sogar und gerade mit massentauglichen Inhalten. Sogar Humor war im deutschen Fernsehen wieder erlaubt: Harald Schmidt (1997), Anke Engelke (1999), Gaby Köster (2000) sind nur einige der „privaten“ Grimme-Preisträger.

„Der Preis muss die Balance zwischen Vorbildfunktion und Mainstream halten“, sagt Grimme-Chef Paukens, der eine „steilere Positionierung“ des Wettbewerbs in Abgrenzung vom DFP für falsch hält. Weiter nach vorn bringen soll den Grimme-Preis vielmehr eine eigene Online-Kategorie, die „ erstmals Medienkonvergenz in den Preis integriert“. Sie wird ab 2001verliehen und soll natürlich nicht auf der E-Commerce-Welle mitschwimmen, sondern journalistische Leistungen auszeichnen.

Inhaltlich bleiben Grimme- und Deutscher Fernsehpreis also Brüder im Geiste – und daher passt auch Hans Janke, der neue Vorsitzende des DFP, gut ins Bild: Der stellvertretende ZDF-Programmdirektor und Fernsehspielchef war bis 1989 Direktor des Adolf Grimme Instituts.