: „Wohl des Kindes entscheidet“
Die Ausländerbeauftragte der Regierung, Marieluise Beck, verteidigt Änderungen des Ausländergesetzes gegen konservative Kritiker – und gegen drohende EU-Richtlinien
taz: Können sich Frauen, die sich bisher illegal in Frauenhäusern verstecken und aus Angst vor Ausweisung ihre Männer nicht anzeigen, nun aus ihrem Versteck wagen?
Marieluise Beck: Es können auf jeden Fall deutlich mehr Frauen zu klareren Bedingungen raus. Eine Frau kann ihren Mann jetzt nach zwei Jahren verlassen, während es bisher vier Jahre waren. Ich räume allerdings ein, dass dies eine politisch gegriffene Zahl ist, die schon im Koalitionsvertrag festgelegt worden war.
Zwei Jahre prügeln lassen müssen sich die Frauen aber immer noch?
Die zwei Jahre gelten für die Frau, die sagt, ich liebe meinen Mann nicht mehr. Frauen, die misshandelt werden, können nun im Fall einer besonderen Härte auch vor Ablauf der zwei Jahre ein eigenes Aufenthaltsrecht bekommen. Bisher ging das nur bei außergewöhnlicher Härte. Für die Gerichte mussten bisher in der Regel bleibende physische Schäden erkennbar sein, bevor dieses Recht zugesprochen wurde.
Bisher haben die Bundesländer sehr unterschiedlich über das Bleiberecht von Frauen entschieden. Wie wird das jetzt verhindert?
Wir haben eine eindeutige Regelung bei den Fristen und für die Fälle der besonderen Härte gibt es eine klare Definition im Gesetzestext. Dadurch ist der Spielraum für die einzelnen Bundesländer deutlich enger geworden. Eine besondere Härte sind meiner Meinung nach zum Beispiel physische und psychische Misshandlungen sowie sexueller Missbrauch der Kinder. Erstmals entscheidet im Ausländerrecht auch das Wohl des Kindes über das Aufenthaltsrecht der Eltern.
Was wären dabei Gründe für ein Aufenthaltsrecht?
Die Frage ist zum einen, ob das Kind weiter die Möglichkeit hat, zu beiden Eltern Kontakt zu halten. Entscheidend ist sicher auch, ob bei einer Ausweisung des Elternteils, bei der das Kind mitgehen muss, das Kind aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wird. Die Integration des Kindes spielt eine entscheidende Rolle.
Spielt die Gefahr einer sozialen Verelendung des Kindes auch eine Rolle?
Zumindest wenn die Frau nicht die Chance hat, im Herkunftsland ein eigenständiges Leben zu führen. Einer Mutter, deren Kind im Herkunftsland nicht gefördert werden kann, etwa bei einer spastischen Lähmung oder bei Notwendigkeit einer Dialyse, ist auch ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.
Die Union wirft Ihnen vor, mit der Verkürzung der Frist von zwei auf vier Jahre das Hintertürchen für Scheinehen weiter zu öffnen und die damit verbundenen Probleme zu verschärfen.
Das ist eine tolle Konstruktion von manchen CDU-Kollegen: Wer die Frauen schützen will, setzt die Ehebestandszeit möglichst hoch. Nur so könnten sie vor einer Scheinehe bewahrt werden. Diese Argumentation lässt aber völlig außer Acht, dass damit nicht der Mann, sondern die Frau bestraft wird. Es ist sehr deutlich spürbar, dass immer dann, wenn die Autonomie von Frauen erweitert wird, bei konservativ gestrickten Männern die Alarmglocken klingeln, weil sie das als Bedrohung empfinden.
Inwieweit gefährden die EU-Richtlinien zur Familienzusammenführung, die den Aufenthalt ausländischer Ehegatten wesentlich restriktiver formulieren, das neue Gesetz?
Das kann in der Tat ein Problem werden. Wenn die Richtlinien als Gesetz zur nationalen Umsetzung vorgelegt werden, wird die Errungenschaft, um die wir jahrelang gekämpft haben, wieder zur Disposition stehen. Die EU-Richtlinie ist dann kein Problem, wenn sie Mindeststandards formuliert, über die die nationalen Regierungen zwar hinausgehen, aber nicht zurückfallen dürfen. Darauf hoffe ich.
INTERVIEW: KARIN NINK
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