Fischer fühlt sich als ewiger Prügelknabe der Partei

Dem Außenminister geht nichts so auf die Nerven wie die Grünen mit ihrem Gekritteln an allem und jedem. Viel lieber befasste er sich mit dem großen Ganzen. Aber es hilft nichts, auch dieses Mal wird er auf dem Parteitag wieder den kleinen Büßer spielen müssen. Dabei bereut er nichts

BERLIN taz ■ Dann stellt er sich eben wieder einmal hin. Räumt Fehler ein, gelobt Besserung, sagt den Delegierten, was sie offenbar hören müssen, um ihre antiautoritären Sehnsüchte befriedigt zu sehen.

Zwei Tage vor dem heute beginnenden grünen Parteitag in Karlsruhe ist die Tagesordnung um einen Punkt ergänzt worden: 20 Uhr – Joschka Fischer macht mal wieder den Kotau. Diesmal ist es der aktuelle Schlamassel um Bürgschaften der rot-grünen Bundesregierung für den Bau von Atomkraftwerken in China und anderswo, der Fischer zum Sondereinsatz „Demut“ zwingt. Aber die Erfahrung ist nicht neu. „Es gibt keinen Patriarchen, der so oft durchgeprügelt worden ist in seinem Laden wie ich“, sagt er in einem Interview zum Parteitag. Solche Sätze sind meist von einem spöttischen Herabziehen der Mundwinkel begleitet. Trotzdem haben sie seit der Farbbeutelattacke auf dem Bielefelder Kosovo-Parteitag für Fischer immer auch eine direkte, physische Dimension. Dass dem Katholiken Fischer die Vorstellung, seinen Leib hinzuhalten für die richtige Sache, durchaus ein wohliges Gruseln bereitet, ist damit keineswegs ausgeschlossen.

In jedem Fall wird er seinen Auftritt heute in Karlsruhe kaum als „Mea culpa“ gestalten. Zumindest darin ähnelt Joschka Fischer nämlich eher Edmund Stoiber als der Tränendrüsenfraktion in den eigenen Reihen: Kampfanzug statt Büßerhemd hatte der CSU-Chef den krisengeschüttelten Unionsmitgliedern empfohlen, und auch Fischer wird seine Reue über die Pannen bei den Atombürgschaften in einen Angriff wenden – gegen wen der auch immer gerichtet sein wird.

Doch Auftritte dieser Art gehen ihm längst auf die Knochen. Nicht weil Joschka, der Jogger, mit seinen 51 Jahren plötzlich körperlich steif würde. Sein Leiden ist ernster: Joschka Fischer büßt langsam, aber spürbar seine politische Gelenkigkeit ein.

Der Rausch, das Feuer, die Begeisterung, die er aus seinen Parteitagsauftritten zog und so gekonnt in den Saal zurückschleuderte, gehören der Vergangenheit an. Die rhetorischen Kniffe, auch das Gespür um die Wünsche und Ängste seines Publikums sind ihm geblieben, aber seine innere Anteilnahme lässt nach.

Fischer vermittelt immer öfter den Eindruck, ihm seien die Grünen vor allem Bürde. Kommt das Gespräch auf innergrüne Nuancen, schweift er schon mal ab und redet lieber von der „eurasischen Landmasse“ oder dem „Alptraum der deutschen Mittellage“. Die Erschöpfung mit seiner Partei schlägt inzwischen in öffentlichen Äußerungen durch und noch stärker in kleineren Kreisen.

Lasten, nicht Privilegien beschere ihm die Rolle des heimlichen Parteivorsitzenden, erzählt er. Just die, die ihn in Parteigremien einseiften, flüsterten ihm nach der Sitzung zu, er möge doch bitte in ihrem Sinne Strippen ziehen.

Spricht er über die grüne Partei, referiert er eher wie ein Soziologe, nicht wie der hitzköpfige Anführer von einst. Dann referiert er über den notwendigen Generationswechsel, der sich bei den Grünen nun zum ersten Mal vollziehen müsse, sagt: „Ohne Strukturreformen werden wir die Institutionalisierung der Partei nicht hinbekommen – und ohne die Institutionalisierung werden wir den Generationswechsel nicht hinbekommen, denn für die jüngere Generation findet Politisierung stark in der Partei statt.“

So richtig solche Sätze sein mögen, so sehr verraten sie auch, dass Fischer zum Veteran in seiner Partei geworden ist. Er teilt die Neigung aller lang gedienten Kämpen, sich nur noch mit der großen Linie beschäftigen zu wollen. Der Parteitag könnte ihm diesen Wunsch leicht vergällen.

PATRIK SCHWARZ