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Lehrer gegen Jospin

In Frankreich gehen alle großen Lehrergewerkschaften mit Streiks, Demonstrationen und Straßenblockaden gegen die Schulpolitik voraus Paris DOROTHEA HAHN

„Jospin“, stand drohend auf einem Transparent, das gestern Nachmittag durch die südlichen Arrondissements von Paris getragen wurde, „du verlierst deine Stimmen.“ Davor und dahinter demonstrierten zigtausende französischer Lehrer gegen die Schulpolitik und die Stelleneinfrierung.

Alle fünf großen Lehrergewerkschaften hatten die Lehrer gestern zu einem nationalen Streik in den Schulen und zu Demonstrationen aufgerufen. Es war ihr erster einheitlicher Aktionstag seit 1995. Damals, als in Paris noch die Konservativen regierten, hatten die Lehrer mit am Anfang einer Protestbewegung gestanden, die am Schluss zu dreiwöchigen Streiks im öffentlichen Dienst geführt hatten.

Seit dem Machtantritt der rot-rosa-grünen Regierung im Juni 1997 hatten sich die eher links wählenden Lehrer mit Protesten stark zurückgehalten. Vielen fiel das schwer. Denn der sozialistische Erziehungsminister Claude Allègre, der gestern im Zentrum der Kritik stand, hatte schon 1997 als erste Amtshandlung einen Frontalangriff auf die französischen Lehrer gestartet. „Der Mammut gehört entspeckt“, sagte Allègre und kündigte eine radikale Umorganisation der „nationalen Erziehung“ sowie deren „Dezentralisierung“ an. Die Lehrer beschimpfte er pauschal als „absentistisch“, „fett“ und „faul“.

Das Fass zum Überlaufen brachte die letzte jährliche Neuordnung der Planstellen in den Schulen, die statt der erwarteten und von Lehrern und Eltern verlangten Stellenaufstockung den Status quo festschreibt. Seit 1992 ist der Schuletat in Frankreich nicht mehr erhöht worden. Neue Stellen sind nur auf dem Weg über befristete Jobs, über Honorarkräfte und über nicht ausgebildete Hilfslehrer in die Schulen gekommen. Auf diese Weise sind jetzt rund 100.000 Arbeitskräfte untertariflich und befristet in den französischen Schulen beschäftigt.

In den Berufsschulen sorgte diese „Präkarisierung“ der Arbeitsbedingungen als erstes für Proteste. Die französischen Grund- und Mittelschulen stiegen erst in den letzten Tagen in die Protestbewegung ein, dafür jedoch mit starker Beteiligung und radikalen Mitteln, die stellenweise bis zu Straßenblockaden und Hungerstreiks reichen. Vielerorts unterstützten gestern Eltern die Lehrer. Parallel demonstrierten erneut die Finanzbeamten, die ihrerseits gegen die Stellensparpläne eines sozialistischen Ministers protestieren.

Erziehungsminister Allègre sah gestern trotzdem kein Problem. Für den langjährigen Vertrauten von Premierminister Lionel Jospin steckt hinter der Protestbewegung einerseits die Blockadehaltung einer „konservativen“ Lehrerschaft. Und andererseits ein „Kommunikationsproblem“ seines Ministeriums.

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