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Der Schlussapplaus

Theaterkrise essen Intendanten auf: Als Reaktion auf die chronische Finanzknappheit der Berliner Kulturpolitik hat Frank Castorf damit gedroht, die Volksbühne zu verlassen. Doch dem Modelltheater am Rosa-Luxemburg-Platz fehlt nicht nur Geld

von STEFAN STREHLER

Die Senatorin hat es nun leise ausgesprochen: „Wenn das alles nicht gelingt, wird man um solche dann sehr schmerzhaften Dinge nicht herumkommen.“ Besonders schmerzhafte Dinge, das weiß Christa Thoben, sind Theaterschließungen. Lauter schwarze Löcher hat man in den letzten Wochen im Kulturhaushalt gefunden. Etwa 70 Millionen Mark fehlen im Kulturhaushalt. Zum Beispiel die 2,8 Millionen, die Thobens Vorgänger Peter Radunski der Schaubühne versprochen hat, ohne dafür irgendeinen finanziellen Rückhalt zu haben. Es fehlen 12 und 15 Millionen Mark, mit denen an den Häusern die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienstes ausgeglichen werden müssen. Es fehlen 10 Millionen im Theaterinstandsetzungstopf. Und die 25 Millionen, die man gespart hat, weil man das Metropol-Theater geschlossen hat, sind bereits ausgegeben.

Nur gut, dass die Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur gelernte Ökonomin ist. Christa Thoben lässt keinen Zweifel daran, dass sie schnellstmöglich einen ausgeglichenen Haushalt herstellen will. Sie will darum vom Senat mehr Haushaltsgeld, vom Bund mehr als die bislang zugesagten 100 Millionen, und sie will die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Theater ändern und sie in GmbHs umwandeln. Einen entsprechenden Plan will Thoben bis zum Sommer vorlegen.

In der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz hat man immer solide gewirtschaftet. Die Tarifsteigerungen wurden im Haus solidarisch ausgeglichen und eher die künstlerischen Etats gekürzt als ein Defizit an den Senat zurückgegeben. Mitarbeiter wurden entlassen, ohne die künstlerischen Aktivitäten herunterzufahren. Nun waren seit langer Zeit 8 Millionen für dringende Reparaturmaßnahmen zugesichert. Sie wurden auf eine halbe Million zusammengestrichen. Einfach so, ohne Ersatz. Damit kann man bestenfalls die Toiletten erneuern.

Das ist eine unangemessene Behandlung, findet Frank Castorf. Als Regisseur und Theaterleiter hat er die 90er geprägt wie kein anderer. Soeben wurde er mit den „Dämonen“ wieder zum Theatertreffen eingeladen, bekam (zusammen mit Henry Hübchen) einen mit 30.000 Mark dotierten Theaterpreis zugesprochen, und nicht wenige sind der Ansicht, dass selbst seine letzte Berliner Premierenarbeit mehr Klasse und Unterhaltungswert besitzen als alles, was die Konkurrenz so treibt.

Umso ungerechter scheint es, wenn der kulturelle Mitbewerber Peymann nicht nur hofiert wird, sondern zur Wiederbelebung des Berliner Ensembles eine neue Probebühne, eine neue Direktionsetage und einen aufgestockten Etat bekommen hat. Als es im Kulturausschuss zur Aussprache kam, deutete Castorf an, dass er auch anders könne: „Zehn Jahre, das ist eine schöne Zeit. Das Land ist groß geworden, und man muss sehen, wo man weiterarbeiten kann.“ Hinter der theatralischen Geste steckt aber mehr als eine beleidigte Drohung. Die Volksbühne befindet sich in einer kniffligen Situation. Das Anfang der 90er Jahre begründete Theatermodell – erstklassiges Regietheater plus Popkultur plus DDR-Stallgeruch – ist seit längerem in der Krise.

Als Anfang 1999 der Chefdramaturg Matthias Lilienthal das Haus verließ, war dies auch die Trennung eines sehr erfolgreichen Gespanns. Lilienthal war maßgeblich für das Konzept und die Regiepersonalpolitik verantwortlich. Castorf brillierte als Regisseur und anarchistischer Repräsentant. Er sei wie Elisa- beth II., hat Castorf einmal erzählt und meinte damit, dass er sich um nichts groß kümmern muss: Der Laden läuft trotzdem. Lilienthal hinterließ eine Lücke, die bis heute nicht geschlossen wurde. Sie wächst sogar, weil mit ihm nicht nur Barbara Mundel ging, sondern zum Ende dieser Spielzeit auch Matthias Pees und die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, Kirsten Hehmeyer, das Haus verlassen.

Damit ist der Volksbühne innerhalb von 18 Monaten die gesamte innere Führung abhanden gekommen. Der Chef ist jetzt ganz allein zu Hause. Natürlich kamen neue Leute, aber bislang erwies sich keiner als durchsetzungsfähig. Der letzte Erfolg von Castorf, die „Dämonen“, ist ein bunter, melancholischer Abend im Zeichen des großartigen Ensembles. Auch das droht auseinander zu brechen. Herbert Fritsch bastelt an seinen Internetseiten, Sopie Rois macht Filme, Matthias Matschke will gerne an anderen Häusern arbeiten. Wie im Getriebe der veralteten Bühnentechnik knirscht es auch sonst überall. Wie in der Politik spricht auch im Theater vieles dafür, nach zwei Amtsperioden die Führung auszuwechseln.

Allerdings muss man nichts mehr fürchten als eine Berliner Theaterlandschaft ohne Castorf-Volksbühne. Muss man wirklich? Ja. Als Regisseur befindet sich Castorf gerade auf dem Weg zu vitaler Altersweisheit. Als öffentlicher Querulant und intellektueller Entertainer ist er unbezahlbar. Als Intendant scheint er im Moment überfordert zu sein. Es ist nicht nur Geld, das ihm fehlt.

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