Der Herrenreiter

Heinrich Horstmann radelt für Deutschland. Das Reisetagebuch eines frühen Weltumradlers: jetzt wiederentdeckt und neu herausgegeben

von UTE FRIEDRICHS

Lang, lang ist’s her, dass sich ein junger Westfale aufmachte, die Welt per Veloziped zu erobern: Heinrich Horstmann, geboren in Heessen bei Hamm. Beim Start am 2. Mai 1895 war er gerade mal 20 Jahre alt und sah zudem fünf Jahre jünger aus. Er trug kniekurze Hosen, war aber ausgerüstet mit einem der damals brandneuen Niederräder nebst 16 Kilo Gepäck. Als er zwei Jahre später, am 16. August 1897 zurückkam, konnte sich das Milchgesicht als Deutschlands erster Weltumradler bezeichnen.

Seine lange Reise rund um den Globus führte ihn von Dortmund aus über Holland, Belgien und Großbritannien nach Amerika, wo er sich am ausgiebigsten abstrampelte. Für Japan, China, Indien und Ägypten stieg er dann um aufs Schiff. Bis dato hatten gerade mal fünf globale Radexpeditionen stattgefunden – eine davon endete tödlich.

Eine erstaunliche Leistung also für einen jungen Mann aus der deutschen Provinz. Horstmann hatte so gar nichts von einem Indiana Jones der Jahrhundertwende. Er war ein schmächtiger Kerl, gelernter Schmied und Kaufmann. Bemerkenswert auch, dass er zwar zuvor mehrere Wochen lang die Landkarten studierte, bei seiner Erdumrundung selbst aber ganz ohne dergleichen Material auskam.

All das wissen wir von Horstmann selbst. Im Jahr nach seiner Rückkehr, 1898, erschien sein selbst publiziertes Buch. Ein Bestseller wurde es nicht. Irgendwann im Laufe der Zeit gerieten Autor und Werk in Vergessenheit. Das letzte Exemplar staubte in der Stadtbibliothek Wuppertal vor sich hin.

Doch nun hat Fahrradforscher Hans-Erhard Lessing für eine Neuauflage der Horstmannschen Erzählungen gesorgt. Seine größte Aufmerksamkeit widmet der Marathonmann der Route von New York nach San Francisco. Mit einer gehörigen Portion Kaltschnäuzigkeit bahnt er sich den Weg durch den Wilden Westen. Ob beim Wettsaufen mit texanischen Cowboys, Pokern mit Gelegenheitsspielern oder beim Verkauf seines Revolvers: Stets zockt das Greenhorn die Einheimischen ab. Gleichzeitig offenbart sich der junge Mann aus Westfalen als Kind seiner Zeit. Trifft er auf Menschen, die ihm in der Heimat kaum begegnet sein dürften, weiß er sofort, was er von ihnen zu halten hat. Heinrich wird zum Herrenreiter. Zum Beispiel die Schwarzen: „Auf seine äußere Person legt der Durchschnittsneger wenig Wert.“ Oder die Mexikaner: „Das muss man den Mexikanern lassen, zu tanzen verstehen sie, und wenn sie auch sonst faul sind.“

Überdies fällt auf, dass Horstmann seine Krämerseele nicht so ohne Weiteres baumeln lassen kann. Akribisch listet er An- und Abfahrtzeiten auf und pflegt die Statistik sogar bei den vielen Radreparaturen. Allerdings lüftet der ansonsten Redselige nicht das Geheimnis, auf welchem Fahrradmodell er seine Reise antrat.

Dafür schwärmt er von einem Wechsel. In Chicago kauft er sich eine Crescent-Maschine – nicht zuletzt aus patriotischen Gründen: „Die Erbauer dieser Marke sind Deutsche und auch der weitaus größte Teil des kaufmännischen Personals und der Arbeiter – man darf also mit Recht behaupten, dass diese amerikanischen Maschinen ein Erzeugnis deutscher Kunst und deutschen Fleißes sind.“

Schade hingegen, dass Horstmann nur flüchtig den Beginn seiner Reise durch Holland, Belgien und Großbritannien skizziert. Mehr beiläufig erwähnt er seinen Besuch beim belgischen König Leopold II. („Nun leben Sie wohl, junger Freund, und reisen Sie glücklich“). Ebenso schenkt er dem weiteren Verlauf seiner Tour de Force außerhalb der USA wenig Beachtung.

Und dann das Nachwort von Hans-Erhard Lessing: sehr ausführlich, sehr fleißig und etwas wirr. So erfahren wir, dass Horstmann 1945 in Berlin verstarb und vorher unter anderem sein Geld mit einem eigenen Biervertrieb verdiente. Außerdem, dass es zu Zeiten der ersten Weltumradler „noch keinen Jugendtourismus wie heute gab, von Interpol ganz zu schweigen“. Ja, und Interrail soll’s auch noch nicht gegeben haben.

Heinrich Horstmann: „Meine Radreise um die Erde“, herausgegeben und kommentiert von Hans-Erhard Lessing. Verlag Maxi Kutschera, 39 DM