: Datenrückpeilung
Ein Pynchon-Kurzdrama im LCB mit Friedrich Kittler, Michael Naumann, Heinz Ickstadt und Hanns Zischler
Alle spielen sich selbst, dazu kommen ein Moderator und der Chor.
Moderator: Michael Naumann, sie waren Pynchons Verleger. Wie hat er reagiert, als sie ihm sagten, sie werden Staatsminister für Kultur? Naumann: Er hat gelacht.
Chor lacht.
Moderator: Was macht Thomas Pynchon zu einem Kultautoren? Naumann: Die Empörung über die Sinnlosigkeit des Lebens. Das interessiert junge Leser.
Kittler: Pynchon wusste, was eine Rakete ist. Naumann: Pynchon hat mir einmal gesagt, wie er für „Die Enden der Parabel“ recherchiert hat. Er hat sich alle Bücher aus der Bibliothek der University Of California ausgeliehen, die mit Bildern aus Deutschland illustriert waren.
Zischler: So arbeitet in Deutschland niemand. Alle: Niemand mehr! Einzelne: Uwe Johnson! Thomas Mann!
Naumann: Pynchon hat mir einmal gesagt, er könne sich nicht erinnern, bei Nabokov studiert zu haben.
Chor macht sich Notizen.
Kittler: Bei Pynchon geht es um Datenrückpeilung. Amerika wird nicht vernichtet, es schlägt zurück. Naumann: Pynchon ist ein Patriot.
Ickstadt: Aber was alles verloren gegangen ist. Die Wunder. Sprechende Hunde, mechanische Enten. Die Hunde warten nur noch auf das Futter, die Wälder werden gerodet.
Chor schweigt.
Moderator: Liebt er Amerika auch für die verlorenen Möglichkeiten? Naumann: Pynchon hat mir einmal gesagt, er ordne die aktuellen Ereignisse in ein mythisches Schema. Licht und Finsternis. Ersteres ist der Autor, letzteres alle anderen.
Moderator: Ist er ein Historiker der Gegenwart? Naumann: Die prophetische Kraft von „Vineland“ ist enorm. Das sind doch alles IMs.
Kittler: Das Schlaue an Pynchon ist die Paranoia. Naumann: Pynchon hat mir einmal gesagt, er habe keine Kreditkarte. Ickstadt: Für Pynchon ist die technische Welt von Übel. Das gute Leben sieht anders aus. Pynchon ist Adorno, wenn er Jazz verstanden hätte. Naumann: Ich habe Pynchon einmal einen Sextanten geschenkt, den ich in einem Antiquitätenladen gekauft hatte, und er wusste sofort, welche Werkstatt den wann gebaut hat. London, 1810. Ich habe das Gerät umgedreht und dort war eingraviert: London, 1810.
Chor staunt.
Kittler: Pynchon arbeitet mit Medien. Naumann: Ich habe Pynchon mal eine alte Leica aus den Dreißigern geschenkt. Da hat er gesagt, er hat keine Ahnung von Fotografie. Er hat den Apparat nie benutzt.Ickstadt: Die Witze werden von Buch zu Buch besser. Naumann: Pynchon redet mit sich selbst. Das liegt an seiner insularen Existenz.
Moderator: Und das Neueste am Schluss: Thomas Pynchon schreibt einen neuen Roman. Naumann: Als ich Pynchon Weihnachten getroffen habe, hat er zu mir gesagt, er arbeite an einem Roman über eine russische Mathematikerin, die bei dem deutschen Mathematiker David Hilbert Anfang dieses Jahrhunderts in Göttingen studiert.
TOBIAS RAPP
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