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Chaos-Truppe im Disco-Fieber

Mit teuren Spielern will der Zweit-Ligist Tennis Borussia in die Fußball-Bundesliga aufsteigen. Doch die Spieler amüsieren sich lieber auf der Tanzfläche oder beim internen Zwist als auf dem Platz

von JÖRG EBENHÖH

Im Mommsenstadion in Eichkamp erinnert eine kleine Tafel an den größten Tennis-Borussen aller Zeiten. Sepp Herberger, als späterer Bundestrainer der „Vater des Wunders von Bern“, agierte am Ende der Weimarer Republik als Spielertrainer der Borussen, um sich ein Zubrot zum Studium an der Deutschen Sporthochschule zu verdienen. Das geflügelte Wort „Elf Freunde müsst ihr sein“ erhob der Fußball-Philosoph damals zur Grundregel für Ruhm und Ehre. Doch ausgerechnet bei TeBe wird das Herbergersche Axiom derzeit mit Füßen getreten.

TeBes aktueller Trainer Winfried Schäfer wusste um seine heikle Mission, als er im vergangenen Sommer sieben namhafte Spieler aus der Bundesliga verpflichtete. Selbstbewusste Recken, die meisten mit Länderspielerfahrung, die sich bislang im Scheinwerferlicht der Medien gesonnt hatten und von zehntausenden Fans umjubelt worden waren. Als Schadenersatz für den freiwilligen Abstieg der glorreichen Sieben in das chronisch halbleere Mommsenstadion zahlte TeBe den Stars hohe Gagen. Artig revanchierten sich die Hochkaräter mit dem Versprechen, alles in ihren Beinen stehende zu tun für den sofortigen Aufstieg des Vereins. Einige altgediente Borussen hingegen zogen sich in die innere Emigration zurück. Bruno Akrapovic etwa, einst der Leitwolf, verstummte vorübergehend vollends.

Leider versäumte es der Trainer, dem bunt zusammengewürfelten Haufen eine branchenübliche Hackordnung vorzugeben. In der vagen Hoffnung, Alpha-Tiere würden sich durch natürliche Auslese von selbst finden, redete Schäfer zunächst reichlich wirr von „Häuptlingen, Indianern“ oder „ehrlichen Arbeitern“, bevor ihn die Gruppendynamik überrollte. Seine Profis schüttelten den Kopf ob ihres hilflosen Vorturners und titulierten ihn abschätzig „Konfusius“ oder „Blondine“. Die Anarchie feierte fröhliche Urständ.

Zunächst fiel Neuzugang Ansgar Brinkmann aus der Rolle. Weil der „weiße Brasilianer“, wie ihn die Fans von Eintracht Frankfurt ehrfürchtig nannten, partout glaubte, sein Beruf müsse ihm Spaß machen, wechselte sich der schnelle Rechtsaußen gegen Karlsruhe selbst ins Geschehen ein. Schäfer machte gute Miene zum bösen Spiel. Als Brinkmann beim beachtlichen 6:2-Sieg in Bochum lautstark über sein ungewohntes Reservistendasein dozierte („Ich lasse mich nicht verarschen, auch nicht von Herrn Schäfer“), musste er seinen Exkurs mit einer Geldstrafe und Abmahnung büßen. Artig gelobte der Querulant, sich künftig nur noch nach 6:2-Auswärtssiegen kritisch zu äußern.

Trotzdem wollte das Chaos kein Ende nehmen. Zeitweise schien es so, als wollten sich die Fußballer für die vereinseigene Boxabteilung von TeBe empfehlen. Selbst Boulevard-Journalisen, die zunächst freudig an der chronique scandaleuse strickten, drohten mit Missachtung, weil sie endlich neue Schlagzeilen brauchten. Binnen weniger Wintertage ging etwa Abdul Ouakili gleich zwei Kollegen an den Kragen, einmal ausgerechnet während eines Mannschaftsabends, an dem die Friedenspfeife geraucht werden sollte. Nach eingehender Debatte verwarf der Vereinsvorstand den erwogenen Verkauf des Fäustlings.

All das ist nur im Suff zu ertragen, mag sich Francisco Copado gedacht haben. Jedenfalls wurde der Deutsch-Spanier im Wintercamp erwischt, als er in den frühen Morgenstunden in einer Hotelbar auf dem Klavier tanzte. Sein Mitspieler Sergej Kirjakow klatschte dazu begeistert im Takt. Zurück in Berlin, holte Copado verpassten Schlaf nach. Grinsend erzählen Kollegen, dass der wuselige Mittelfeldspieler in der Kabine eingenickt sei, bevor ihm zwecks Leistungskontrolle Blut abgenommen werden konnte. Seitdem weiß auch Trainer Schäfer, dass sich die jungen Spieler gerne in der Szene-Disco „90 Grad“ amüsieren.

Copado ist mittlerweile vom Spielbetrieb suspendiert, obwohl er mildernde Umstände verdient hätte: Vor Jahresfrist spannte ihm ein Teamkollege die Ehefrau aus. Auch Schweiger Akrapovic traf jüngst der Bannstrahl. Der Bosnier schaute dem bunten Treiben im Tollhaus TeBe lange zu, bis ihm der Kragen platzte. Seinem Kapitän und Torjäger Uwe Rösler soll Akrapovic mit einem Vorlagen-Boykott gedroht haben, woraufhin sich beide Kontrahenten nicht nur Worte an den Kopf warfen. „War das wieder ein Theater in der Kabine“, stöhnte der Trainer. „Wir haben es in acht Monaten nicht verstanden, ein Gemeinsamkeitsgefühl zu entwickeln“, blickte der einstige England-Profi Rösler resigniert auf seine bisherige Zeit im Borussen-Trikot zurück. Auch die Konkurrenz ist fassunglos: Wie ist es möglich, rätselt der Rest der 2. Liga, dass die Chaos-Truppe TeBe noch immer Kontakt zu den Aufstiegsrängen hat?

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