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Welt ohne Abgrund

Als Maler durchaus gesprächig: In seiner Musik kämpfte Miles Davis mit der Hölle des US-Alltags,in seinen Gemälden eiferte er europäischen Impressionisten nach. Jetzt sind sie in Celle zu sehen

von ULF ERDMANN ZIEGLER

Es ist keine Neuigkeit, dass Miles Davis in den letzten Jahren seines Lebens gezeichnet und gemalt hat. Dennoch sind die Bilder selten zu sehen, denn in den Museen tauchen sie nicht auf. Eine Ausnahme macht jetzt das Bomann-Museum in Celle. Michael Wolfson, ein „Fan“ des Trompeters und Kurator der dortigen Kunst-Stiftung, hat sich von einer englischen Galerie mit Werken beliefern lassen und sie in einem tristen Raum mit problematischem Licht, so gut es möglich war, in Gruppen gehängt.

Einigermaßen vertraut wirken die dürren Musikerfiguren, die Miles mit bunten Filzstiften aufs Papier kritzelte, weil sie auf dem Cover von „Star People“ verwendet wurden. Es gibt weitere Zeichnungen mit körperlosen Figuren, immer einzeln auf dem Blatt, betitelt „Lady“ oder „Girl“, und noch schnellere, kalligrafische Versuche mit Kugelschreiber, zum Beispiel als „Face Composition II“. Man sieht quasi den reisenden Musiker vor sich, wie er Blatt um Blatt mit ählichen Figuren füllt; eine Manie.

Eigenartig ist es, wie unterschiedlich, zum Teil pompös die Zeichnungen gerahmt sind, während die Arbeiten, die man Öl-auf-Leinwand nennen würde, freistehen. Manchen sieht man rüde Transporte an. In der Celler Ausstellung gibt es keine Materialangaben, keine Datierung. Dafür wurden die Titel – „Whose smile!“ etc. – in riesigen Lettern am Computer ausgedruckt und in Plastikhalterungen geschoben. Die Gemälde sind viel deutlicher Plagiate als die Zeichnungen. Miles hatte eine wenig elaborierte Technik, Farbfelder nebeneinander zu setzen, wobei er deren ungegenständliche Variante grob der Pariser Schule entlieh – Nicolas de Stael –, und wenn die Felder Masken tragen, bediente er sich bei Jean-Michel Basquiat, als dieser schon nicht mehr lebte.

Schockierend ist nicht die Tatsache, dass der malende Musiker schamlos stiehlt, sondern die Einsicht, dass ihm gerade dies auf groteske Weise misslingt. Was auch immer ihm im Kopf herumgeistert – Miró, Cocteau, Bellmer, Klee, Chagall, Kandinsky –, es findet als mausetote Materie auf die Leinwand. In den Farben ist kein Licht, im Duktus keine Richtung und in der Ausarbeitung der Fläche noch nicht einmal der Verstoß gegen eine Regel auszumachen.

Während er noch lebte, waren die Zeitgenossen bemüht, ihn auf die Diskrepanz zu seinem musikalischen Werk nicht all zu dringlich hinzuweisen. Das hatte einen Grund. Als Maler und Zeichner war Miles nämlich sehr gesprächig, während er als Musiker nahezu unansprechbar war. Wer mit dem Mann, der auch das geringste Blatt noch stolz mit „Miles“ zeichnete, über sein Hobby spekulierte, sprach mit dem Musiker nicht mehr unter der tickendenden Uhr der PR-Fuzzies von CBS.

Die Überschreitung künstlerischer Genres ist eine magische Idee. Der Maler, der tanzt, der Schriftsteller, der zeichnet, und die Musikerin, die Bühnenbilder entwirft: All das erinnert uns daran, dass unsere Sinne nicht nach Sparten organisiert sind, sondern verwoben sind im Alltag, im Traum und in der Erinnerung. Manchmal kommen einem Zweifel, zum Beispiel wenn man die banalen Aquarelle einer Joni Mitchell zu betrachten gezwungen ist oder Jean Baudrillard sich in der durchschaubaren Pose falscher Bescheidenheit als Fotograf in Szene setzt.

Der Fall des Zeichners Miles ist noch ein wenig krasser. Sein Oeuvre entbehrt gänzlich des dilettantischen Charmes. Es zeigt sich als störrischer Versuch eines reichen Mannes, von Kalifornien aus einen europäischen Komplex zu besiegen.

Miles Davis’ Leben war geprägt von der Eigentümlichkeit, dass er fast in der ganzen Welt erfolgreich, frei, erwünscht und bewundert war, während seine Musik aus der Hölle des schwarzen Alltags in den USA emporstieg. Er wurde zum Vorbild des Rappers mit ludischen Launen und glitzerndem Besitz. Die Tiefe seiner Musik hatte damit zu tun, dass er den Dämon geschaut hatte. Er wusste, dass man nicht triumphieren kann, ohne Schaden zu nehmen. Er triumphierte.

Seine Zeichnungen haben nichts davon und seine Gemälde schon gar nicht. Es sind oberflächliche Reverien einer Welt ohne Abgrund; die „afrikanischen“ Themen bleiben genauso unverstanden wie die „europäischen“. Miles wollte nicht malen wie er spielte, sondern er wollte sich frei machen von den Implikationen und Grübeleien, die sein musikalisches Werk mit sich brachte.

Bleibt festzustellen, dass ihm das gelungen ist. Nicht, dass Miles ein schlechter bildender Künstler war, wirkt dabei so bedrückend, sondern dass er sich die bildende Kunst als Feld suchte, um zur eigenen Erleichterung einen Miles light zu kreiieren. Der ultimative Luxus ist es, könnte man daraus schließen, sich in Luft aufzulösen. Dass sich am Ende niemand im Ernst um die Kunst des Miles Davis schert, gibt ihm retrospektiv auf absonderliche Weise Recht.

Miles Davis: „Gemälde – Zeichnungen – Grafik“, bis 2. 4., Bomann-Museum in der Kunst-Stiftung Celle mit Sammlung Robert Simon, Celle

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