: Skeptiker der Macht
Seit die Fusionswelle in der Weltwirtschaft rollt, werden die Theorien des berühmten deutschen Ökonomen Walter Eucken wieder heftig diskutiert
Der Name Walter Eucken fällt häufig, wenn in der Wirtschaft Großfusionen anstehen. Der heute vor 50 Jahren gestorbene Volkswirtschaftsprofessor hatte die Bedeutung des Wettbewerbs bereits hervorgehoben, als selbst die CDU in ihrem Parteiprogramm noch die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien forderte. Zusammen mit einer Gruppe liberal gesinnter Professoren hatte Eucken in Freiburg schon während des Zweiten Weltkrieges eine Wirtschaftsordnung für das Nachkriegsdeutschland entworfen. Eucken war dabei ein erhebliches Risiko eingegangen: Zwei seiner Professorenkollegen kamen ins Gestapo-Gefängnis, Eucken selbst entging nur knapp der Verhaftung.
Die Konfrontation mit dem nationalsozialistischen Staatsapparat prägte den Volkswirt nachhaltig. Die Vermeidung von Machtkonzentration müsse künftig Grundlage jeder Wirtschaftsordnung sein. Eucken glaubte nicht an die klassisch-liberale Vorstellung der harmonischen Selbstregulierung des Marktes. In der von ihm geprägten Idee des Ordoliberalismus soll der Staat über die Aufrechterhaltung der Wirtschaftsordnung zu wachen.
Die ideale Wirtschaftsordnung sah Eucken im Modell der vollkommenen Konkurrenz mit vielen Anbietern und Nachfragern verwirklicht. Dabei müsse der Markt gelegentlich vor sich selbst geschützt werden, wenn durch Fusionen und Kartelle Marktprinzipien außer Funktion gesetzt werden. In den sechziger und siebziger Jahre gerieten Euckens Gedanken vorübergehend in Vergessenheit. Heute stellt sich Euckens wissenschaftliche Fragestellung fast jeden Tag erneut: Soll der Staat Großfusionen wie zwischen Deutscher und Dresdner Bank unterbinden oder können in der Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ohnehin nur große Global Players überleben?
Die neuere Wettbewerbstheorie hat zwar gezeigt, dass vollkommene Konkurrenz nicht zwingend erforderlich ist und Märkte auch bei zunehmender Konzentration noch ganz gut funktionieren. Der Lebensmittelmarkt mit steigender Konzentration und zugleich sinkenden Preisen gilt als Paradebeispiel. Doch Eucken ging es nicht in erster Linie um niedrige Preise, sondern um die Vermeidung von Macht. „Je mehr Macht die einzelnen besitzen, um so größer ist die Gefahr, dass ein Konflikt zwischen dem Einzelinteresse und dem Gesamtinteresse entsteht“, schrieb er kurz vor seinem Tod. Eucken hatte dies auf die Politik und auf die Wirtschaft bezogen und ist damit heute aktueller denn je. KLAUS-RAINER BRINTZINGER
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