Hallo Kopf, wo bist du?

■ Uli Sobotta & Co versuchten sich im Lagerhaus am Grenzgang

Eigentlich gibt es ja längst keine Grenzen mehr: nicht für die Ossis oder das Finanzkapital, nicht zwischen gutem und schlechtem Geschmack, nicht zwischen U und E, Arbeit und Freizeit, CDU und Grünen, Himbeersoße und Vanillepudding. Alles ist immer gleich multi – multimedial, multikulturell –, buntgewurstelt wie ein chinesisches Reisgericht. Insofern muten Titel und Konzept einer neuen Veranstaltungsreihe der Medien-Coop des Lagerhauses ein bisschen anachronistisch an. „GrenzGänge“ heißt das Ding und lädt jeden Sonntag KünstlerInnen ein, die in mehreren Kunstgattungen wildern.

Zur dritten Ladung kam Uli Sobotta, der beste Euphoniumspieler Bremens und vielleicht auch der einzige. Durch die Betätigung von gerade mal vier Druckknöpfen erzeugt er eine Tonskala, die sich angeblich über viereinhalb Oktaven hinwegschwingt. Das ist nicht Zauberei, sondern eine Frage der Lippenspannung und Backenblasebalg-Modulierung. An den Stellen, wo andere Bläser ordentlich nach Luft schnappen, flicht er kichernd-kummervolle Sätze ein wie: „Good morning my head, where have you been“. Manchmal aber serviert er auch Reflexionen über den Tod in echtem Liedermacher-Bierernst mit einem Instrument, dessen Kultigkeit mit Stefan Raabs Ukele gleichzieht. Oder er verhöhnt Männer, die Joggen, Saunen und drei Flaschen Wein trinken, um sich etwas zu erkämpfen, was sie dann „guten Sex“ nennen. Dafür nennt Sobotta etwas „Pickel“, das jene als respektables Geschlechtsteil zu bezeichnen pflegen.

Uli Sobotta kann nicht besonders gut singen, hat auch nicht die Rezitationsstimme eines Kammerschauspielers und bei den vielen, schnellen Wechseln zwischen Blasen und Sagen verrutschen beim Neueinsatz zwangsläufig Intonation und Ansatz. Aber das macht gar nicht so viel aus. Denn Sobotta verfolgt nicht nur wie alle Avantgardebläser ein Konzept der zerzausten, torkelnden Töne, sondern auch eines der bescheidenen, unaufgeregten Klänge. Wenn er zum Beispiel auf Humta-humta-Quarten und -Quinten exerziert, dann ist das weniger vitalistisch-derb als spröde. Und wenn er sich einen einzigen Ton vorknöpft und durch verschiedene Klangfarben jagt, dann ist das eher eine strenge Etüde als eine Wunderwelt des Farbenreichtums.

Ganz anders nach der Pause Posaunist Christof Thewes und Drummer Jörn Schipper. Wie ein ganz normaler Tagesablauf, ein Lebensweg oder eine ganze Geschichtsepoche pendeln sie immer zwischen Konzentration und Verausgabung, Atomisierung und langem Atem, Suchendem und Gefundenem, Verkrümeltheit und Strahlkraft – so schön wie die blauen und roten hüpfenden Lichtpünktchen auf dem angenagten Gold des Instruments. Und wenn Thewes über eine satte Melodie mitleiderregendeWinsellaute darüberbläst, dann wird plötzlich Größe und Kleinheit ganz gleichwertig.

Die klanglichen Errungenschaften eines Albert Mangelsdorff, die formale Freiheit von Free Jazz sind für das Duo eine Selbstverständlichkeit, die es eben nicht mehr dauernd zu postulieren gilt. Nach dem Konzert lässt es sich mit den Musikern trefflich über ihr Konzept streiten: handelt es sich nun um ein bewusst Anti-Postmodernes, das sich in weiser Selbstbegrenzung auf Melodik und Stimmungen des Jazz der 40er Jahre beschränkt; oder ist es im Gegenteil eine zur Ruhe gekommene Postmoderne, die mit allem und jedem unaufgeregt arbeitet. Außerdem wird man sich in dieser neuen Bremer Kleinfamilie mit nachgerader Zwangsläufigkeit unterhalten über den Trashfilm der 80er Jahre, die absonderliche Krankheit der eigenen Tante und über das Fehlen inspirierender Kommunikationsräume in dieser Stadt. Ach ja, Programmplaner Schipper hat vor, diesen stimmungsvollen, mit einer Bar bestückten Sargraum (er ist mit schwarzen Stoff ausgekleidet und auf den Bistrotischen blinken Teelichter) zu einem ebensolchen Kommunikationsraum aufzubauen. „Wo können denn in dieser Stadt kreative Menschen zusammenstoßen?“ Noch ist das Ganze ein kleiner, erweiterter Freundeskreis. bk

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