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Das gallische Dorf im Radioland

■ Radio total: Im zwölften Teil unserer bezaubernden kleinen Serie „Du und deine Sender“: DeutschlandRadio Berlin

Nie war so viel Radio wie heute. Für jede Zielgruppe gibt es inzwischen eine Welle. Und selbst jene, denen Regionalprogramme zu piefig sind und die sich nach der großen weiten Hörfunkwelt sehnen, bleiben in Bremen nicht unterversorgt. Es gibt ja das DeutschlandRadio ...

Wissen Sie, wo Sie nach einer Premiere im Theater am Goetheplatz die erste Kritik hören können? Sie müssen sich allerdings nach dem letzten Vorhang sputen. Denn schon kurz nach 23 Uhr erzählt der Kultur-Korrespondent des „DeutschlandRadio Berlin“ in der Sendung „Fazit“ brühwarm übers Telefon, ob es ihm denn nun gefallen hat oder nicht.

Für das Bildungsbürgertum sind das „DeutschlandRadio Berlin“ und sein Zwillingsender „Deutschlandfunk“ (der „Fazit“ nach Mitternacht wiederholt) die letzten kleinen gallischen Dörfer in einem Imperium der Formate, Jingles und Werbespots.

Hier gibt es zur Primetime noch stundenlange klassische Konzerte, hier werden in der Sendung „WortSpiel“ literarische Essays und Werkstattgespräche gesendet, ohne dass ein Phil Collins, Miles Davis oder J.S. Bach alle zehn Minuten dazwischengehauen wird. Hier gibt es mit dem „Kakadu“ täglich eine Kindersendung, vor die selbst fernseh-abstinente Waldorfeltern gefahrlos ihre Sprösslinge setzen können. All das ist sehr ordentlich, kompetent – und natürlich hoffnungslos antiquiert.

Aber wären wir nicht alle froh, wenn ein paar Dinosaurier überlebt hätten? Der rigorose Darwinismus hat der einheimischen Radiokultur bestimmt nicht gut getan, und so kann man die konservativen Programmmacher wie den Intendanten Ernst Elitz nur für ihr elitäres Kulturverständnis loben. Denn auf den von ihnen verwalteten Wellen gibt es keinen modischen Schnickschnack, und der Zeitgeist kann sich ja auf allen anderen Frequenzen austoben.

Auch gepflegte Langweile kann ihr Gutes haben: Vormittags in „Hörensagen“ und an den Nachmittagen in Sendungen wie „MusiSalon“, „ZeitFragen“ oder „WortWechsel“ geht bestimmt nicht die Post ab, aber wirklich verschnarcht wie bei „Art und Weise“ von Radio Bremen 2 ist es auch nie. „Berlin“ ist übrigens als Warnung mit im Sendernamen, damit man nicht allzu sehr über den hemmungslos berlinerischen Zungenschlag erschrickt, in dem hier Wetterberichte oder Filmkritiken verkündet werden.

Hervorgangen ist das DeutschlandRadio Berlin aus dem Rias Berlin, dem Sender des Kalten Kriegs, der abgewickelt wurde, als es keine Mauer mehr gab, über die hinweg man agitieren konnte. Nun ist die alte Tante „Deutschlandfunk“ in ihren politischen Kommentaren immer noch Teil des Systems Helmut Kohl, aber dem DeutschlandRadio kann man kaum vorwerfen, auch inhaltlich konservativ zu sein.

So entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn vor kurzem der Sprecher des Bundes der Vertriebenen sich bitter darüber beklagte, dass ausgerechnet der „Ex-Rias“ der PDS-Politikerin Angela Marquart in einem Gastkommentar ein Podium für „verfassungsfeindlichen Extremismus“ geboten hat.

In der allnächtlichen Telefon-show „Nachtgespräche“, in der sich die AnruferInnen über den Spendensumpf, zu teuer bezahlte Fußballer oder die Erhöhung des Briefportos auslassen können, weiß der Kommentator immer genau, wann es an der Zeit ist, die Stammtischtiraden abzukappen. Auch hier also kein „Talk-Radio“ mit saftigen Beschimpfungen oder Seelenstriptease, sondern eine gepflegte Informationssendung. Die Unterschiede zum „Deutschlandfunk“ aus Köln sind nur marginal: Dort ist die Literaturkritik etwas fundierter, dafür macht man in Berlin die besseren Hörspiele und Features. Und es geht auch etwas hemdsärmeliger zu in Berlin, denn während der „Deutschlandfunk“ immer noch ein wenig wie ein Bonner Regierungssender klingt, versuchen die Berliner Kollegen klugerweise erst gar nicht, so etwas wie Hauptstadt-Radio zu machen.

Wilfried Hippen

DeutschlandRadio Berlin auf Ukw 100,3 Mhz

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