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Balkan von außen

Heinz Loquais Studie zum Kosovo-Krieg bietet eine klare Analyse der westlichen Politik, vernachlässigt dabei aber weitgehend die historischen Ursachen des Konflikts

von RÜDIGER ROSSIG

Bücher über den Balkan beginnen meist mit einem gewaltigen historischen Rückblick – etwa mit der Schlacht auf dem Amselfeld 1389, dem Mord am österreichischen Thronfolger Franz-Ferdinand in Sarajevo 1914 oder einem ähnlichen gewichtigen Ereignis, das dann als Paradigma oder geschichtliche Ursache für heutige Zustände in Südosteuropa herhalten muss. Heinz Loquais Studie „Der Kosovo-Konflikt. Wege in einen vermeidbaren Krieg“ hebt sich wohltuend von diesem Trend ab. Indem sich der Autor auf den Zeitraum von 1997 bis zum März 1999 begrenzt, ist der Gefahr des Historisierens von vornherein ein Riegel vorgeschoben.

Doch gerade durch diese an sich sinnvolle zeitliche Begrenzung gerät Loquais Studie in eine ganz andere Zwickmühle. Denn der Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr und Militärberater der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) lässt nicht nur unsinnig-mythische, sondern alle Hintergründe der vorerst letzten große Balkan-Krise außer Acht. In Loquais knapp 200 Seiten umfassendem Werk kommt kein Ereignis vor der kriegerischen Zuspitzung der Auseinandersetzung zwischen serbischer Staatsmacht und Kosovo-Befreiungsarmee UÇK 1997 vor: Weder die tägliche behördliche Gängelung der Albaner seit der faktischen Aufhebung der Autonomie der Provinz 1989 noch die Brandreden, die Slobodan Milošević und seine Verbündeten gehalten hatten, werden erwähnt.

Das Problem ist dabei nicht, dass Loquai den allgemeinen Einfluss historischer Ereignisse gleichsam negiert, indem er diese nirgends anführt. Vielmehr kann er die Motivation der Akteure auf dem Balkan nicht verstehen, weil er sich nicht damit beschäftigt, wie sich diese in anderen, vorhergehenden Konflikten verhalten haben. Dazu passt, dass Loquai den Weg zum Kosovo-Krieg nur von außen beobachtet. In der Literaturliste am Ende des Buches finden sich denn auch alle wichtigen ausländischen, aber keine vom Balkan stammenden Werke. Auch werden keine Berichte alternativer Belgrader Medien oder Aussagen oppositioneller Kosovo-Albaner zitiert. Wenn der Autor irgendetwas über die vorherigen Kriege in Ex-Jugoslawien – den slowenischen und den kroatischen von 1991 oder den bosnischen von 1992 bis 1995 – weiß, dann führt er es an keiner Stelle an.

Das bleibt nicht ohne Folgen für die Analyse – denn nur wer sich erinnert, wie sich die jeweilige serbische Seite in diesen Kriegen verhalten hat, der versteht auch, dass Milošević eben nicht der respektable jugoslawische Präsident ist, als den ihn Loquai beschreibt. Immerhin: Milošević wird nicht – wie so oft – dämonisiert und als Alleinschuldiger an der balkanischen Misere dargestellt. Doch dafür erscheint der Despot ebenso wenig als geschicktester Drahtzieher in einem kriminell-politischen Milieu. Milošević wirkt nur als irgendwie ehrbarer, etwas einfacher und in vielerlei Hinsicht überforderter Lokalpolitiker. Der verschlagene, brutale und vor allem ideologisch extrem wendige Nomenklatura-Kommunist, den die (Ex-)Jugoslawen seit Ende der Achtziger kennen gelernt haben, taucht genauso wenig auf wie die vielfältigen dunklen Machenschaften dieses Mannes, über den Beobachter sagen, ihm sei nichts heilig, außer vielleicht der Erhalt seiner eigenen Macht.

Dabei ist Loquai an sich tief in die Archive gestiegen: Er hat Berichte aller großen westlichen Institutionen eingesehen, die Berichte der wichtigen westlichen Medien noch einmal gelesen – und analysiert, wie das doch arg gleichlautende Konzert der Meinungen während des Kosovo-Krieges zustande kam. Doch weil sich der Autor zu wenig für die balkanische Seite der Geschichte der letzten zehn Jahre interessiert, versteht er die innere Dynamik der ex-jugoslawischen Plünderungswirtschaften nicht. Das zeigt sich auch bei seiner Beurteilung der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK. Die Genese dieser unbekannten, kleinen und nur lokal operierenden Guerilla zur international anerkannten Vertretung aller Kosovo-Albaner bleibt ohne die Geschichte der zehnjährigen serbischen Repression in der Provinz unverständlich.

Weil Loquai nichts über die Brutalität und Kompromisslosigkeit des Milošević-Regimes gegenüber der albanischen Mehrheit im Süden Serbiens weiß, muss er den Aufstieg der UÇK für eine Folge von deren genialer Strategie und Taktik halten. Nur: So war das nicht. Vielmehr war die Gründung einer derartigen Organisation nach der jahrelangen Weigerung Belgrads, ernsthaft mit der pazifistischen Kosovo-Führung um Ibrahim Rugova zu verhandeln, seit Jahren zu erwarten gewesen.

Loquais Vorgehen und die sich daraus ergebenden (Fehl-)Einschätzungen machen seine Studie nicht uninteressant. Im Gegenteil, der Autor hat in dem in der Serie „Demokratie, Sicherheit, Frieden“ des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg erschienenen Band nicht nur so ziemlich alles an westlicher Literatur und viele weitere westliche wertvolle Quellen ausgewertet und verständlich zusammengefasst. Aus dieser Warte stellt Loquai die Entwicklung der westlichen Kosovo-Politik mit all ihren Kontinuitäten und Brüchen auf anschauliche Art und Weise dar. Zudem widmet er dem berühmt-berüchtigen „Hufeisenplan“, mit dem die serbische Regierung angeblich das Kosovo von Albanern säubern wollte, eigene, verdienstvolle Kapitel. Schade, dass er die balkanische Seite der Geschichte nicht wenigstens seit 1989 erforscht hat – die sich daraus ergebenden Schwachstellen wären für einen akribischen Autor wie ihn leicht zu überwinden gewesen.

Heinz Loquai: „Der Kosovo-Konflikt. Wege in einen vermeidbaren Krieg“, Nomos, Baden-Baden, 200 Seiten, 39 DM

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