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perspektive gesuchtEINE WELT INBEWEGUNG

So sieht geistige Enge aus: Die Welt ist in Bewegung geraten, die Einwanderungszahlen in Europa erreichen Rekordhöhen. Und was bewegt das deutsche Gemüt? Eine kleinkarierte Diskussion um die Green Card. Das erinnert an den Hobbygärtner, dessen Interesse am Weltgeschehen nur bis zum nächsten Maschendrahtzaun reicht.

Die Einwanderungspolitik der Bundesrepublik ist eine Katastrophe. Sie ist kurzatmig, ohne Konzept und orientiert sich nicht an Realitäten, sondern reagiert lediglich auf Stimmungslagen der Bevölkerung. Dies ergibt sich aus dem gestern vorgestellten Forschungsbericht der Transatlantischen Lerngemeinschaft der Bertelsmann Stiftung.

Keines der Einwanderungsländer in Europa und Nordamerika ist auf die neue Dimension der Migration vorbereitet. Nachhaltige Konzepte fehlen überall. Das ist gut zu wissen, tröstet aber wenig über das bundesdeutsche Einwanderungsdilemma hinweg. Denn Deutschland gehört zu den Ländern, die an dieser Aufgabe zu scheitern drohen. Zu stark und trotz gegenteiliger Erfahrung herrscht hierzulande in der Politik noch die Auffassung vor, man könne die Einwandererzahlen gegen Null zurückdrängen. Zu schwach ausgeprägt ist die Bereitschaft, Migration nicht nur im untauglichen nationalen, sondern im internationalen Kontext zu begreifen und entsprechend zu diskutieren.

Wer sich wie die Bundesrepublik den Realitäten verweigert, dem ergeht es wie dem Hobbyrennfahrer, der sich unvorbereitet in die Formel-1-Kiste setzt. Er fährt gegen die Wand. Längst scheint der Zeitpunkt verpasst, an dem es noch möglich gewesen wäre, eine umfassende und vor allem transparente Immigrationspolitik zu entwerfen. Eine Politik, die den Menschen in Deutschland erklärt, warum und wann wie viele Menschen einwandern. Bei den Bürgern entsteht jetzt der Eindruck, dem Zuwanderungsdruck mehr oder weniger ausgeliefert zu sein.

Kurzfristige politische Dividende streicht da nur ein, wer das Unmögliche und Unsinnige verspricht – weitreichende Abschottung. Zurück bleiben mutlose Parteien wie die Grünen, die es zwar besser wissen, es aber vermeiden, sich dem Thema mit dem notwendigen Weitblick zu nähern. Das Versagen der bürgerlichen Parteien liefert in den Einwanderervierteln den sozialen Sprengstoff und den Humus, auf dem die Jörg Haiders prächtig gedeihen. EBERHARD SEIDEL

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