Lange Reise in den Tod

■ „Von Jever in den Jemen“: Das Oldenburger Museum für Naturgeschichte rekonstruiert die neunjährige Forschungsreise des Jeveraner Mediziners U. J. Seetzen

Wenn einer eine Weltreise tut, dann braucht er Unmengen an Mut; erst recht vor zweihundert Jahren. Denkt man so. Stimmt aber nicht. Die Abenteuerlust des jungen Arztes Ulrich Jasper Seetzen (1767 bis 1811) entzündete sich an Reiseberichten, u. a. von der Südamerikareise des Göttinger Studienfreunds Alexander von Humboldt, vom berühmten Orient- und Afrikaforscher Carsten Niebuhr, dessen Expeditionskollegen allesamt von Typhus, Unfällen und anderen Malaisen hinweggerafft wurden, oder von den finanziell top ausgestatteten, in sämtlichen Salons diskutierten Ägyptenausgrabungen (1798-1801) im Auftrag Napoleons. Als der Mann aus Sophiengrode (ein Kaff bei Jever) dann aber höchstpersönlich die Grenze zwischen Okzident und Orient überschreiten will und sich in Wien gen Bukarest und Konstantinopel einschifft, fängt er schwer an zu psycheln. Der Schiffsbesatzung unterstellt er irrwitzige Mordgelüste und will sich deshalb vorsorglich lieber eigenhändig ersäufen. Sehr bald aber gewöhnt er sich an ein Leben ins täglich neue Ungewisse hinein. Und selbst die vielen fremden Führer, die sich nun in der Tat oft als diebisch, ängstlich, unfähig und abergläubisch-meschugge herausstellten, lernte er hinzunehmen.

Eine Durchquerung Afrikas vom Jemen nach Westen ist sein großer Traum. Doch schon im jemenitischen Sanaa stirbt er unter nie restlos geklärten Umständen. Vielleicht wurde er von den dortigen Machthabern vergiftet. Schließlich musste sich der seltsame Fremde während der ganzen Reise immer wieder herumschlagen mit den Gerüchten, er sei ein Spion im Dienste französischer oder britischer Kolonialinteressen. Weniger aufgeklärte Araber verdächtigten ihn, er würde die Namen der verschiedenen Flussfische nur deshalb notieren, um sie zu verzaubern – richtig voodoomäßig; dass einer aus nacktem, interesselosem Forschungstrieb dumme Fragen stellt, ging über den Horizont einfacher Leute hinaus. Und das, obwohl Seetzen allergrößten Assimilationswillen bewies, etwa durch das Annehmen eines arabischen Namens, durch arabische Kleidung sowie Studium und Praktizieren der islamischen Religion – sogar inklusive Einhalten des Fastenmonats. „Es lohnt sich nicht, Märtyrer für die Wahrheit zu sein“, begründete der überzeugte Protestant dieses Entgegenkommen an die Landessitten. Für das Erlernen der arabischen Sprache gönnte er sich einen Zwischenstop von eineinhalb Jahren in Aleppo.

Über neun Jahre ist er bis zu seinem Tod schon unterwegs. Und obwohl er sich manchmal gewaltig ärgert über diverse Verzögerungen (meist sind es Probleme mit Banküberweisungen aus dem Heimatland), scheint das Reisen für ihn keineswegs nur die Zwischenepisode einer strahlenden Forscherkarriere zu sein, sondern eine Existenzweise, von der er nicht mehr lassen kann; was den Geschäftsmann (bereits im zarten Alter von 27 erwarb er mit Familienbesitz eine Sägemühle und eine Kalkbrennerei) nicht davon abhielt, Pläne für die Heimat zu schmieden: „Über die Verwandlung der Heyden des ostfriesischen Departements in Saat-Gehölze durch Actioengesellschaften“, hieß ein noch wenig ökologischer Aufsatz, den er 1809 in die entfernte Heimat faxte. Jutta Schienerl rekonstruierte nun diese durch viele Umwege gelängte Reise nach Sanaa aus acht Tagebüchern (drei davon bereits veröffentlicht, der Rest im Besitz der Landesbibliothek).

Beeinflusst von seinem Doktorvater J. F. Blumenbach, galt das Interesse Seetzens zunächst in erster Linie der Naturkunde und Geologie. Finanzielle und ideelle Unterstützung erhielt er für das Versprechen, diverse naturkundliche Sammlungen (u. a. vom Gothaer Herzog) zu ergänzen: durch Handschriften, Gesteinsproben, antike Statuetten. Blumenbach etwa lockte er mit Schädelknochen eines Griechen und eines Arabers. Wie viele Allseitsgebildete gewann er aber bald Interesse an Speisezetteln, der Bauweise von Dreschmaschinen, Geburts-, Beschneidungs- und Beerdigungsritualen, den Rufen der Straßenverkäufer, der Herkunft von Sklaven, Hutformen, Eisenerzgewinnung, Ungezieferbekämpfung, der Feuerprobe als Teil von Gerichtsverfahren, dem Marienbild der Drusen, antiken Ruinen, usw. Den noch unzureichenden archäologischen Eros vor 200 Jahren veranschaulicht Schienerl mit folgender Anekdote: Weil gerade inmitten der Wüste kein geeignetes Brennmaterial zum Aufbrühen des heißgeliebten Kaffees zur Hand war, verfeuerte Seetzen kurzerhand die Leinwandbandagen einer altägyptischen Ibisvogel-Mumie. „Gewiss eines der sonderbarsten Feuer, worauf je Kaffee gekocht wurde“, ulkt das Tagebuch. Gewiss einer der teuersten Kaffees.

Für die drei Räume des Museums für Naturgeschichte hat Jutta Schienerl die Tagebücher Seetzens sowie Aufsätze und Briefe zusammengetragen – unter anderem eine verzweifelte Bittschrift an seine Bank in Aleppo. Die Gothaer Sammlung stellte Manuskripte und Gesteinsproben zur Verfügung – unter anderem einen Brocken vom Katharinenkloster im Sinai, manche davon mit handschriftlicher Kennzeichnung und Datierung. Neben dem allereinzigen überlieferten Porträt Seetzens sind viele Radierungen von den Reisestationen zu sehen, meist allerdings erst aus der Mitte des 19. Jahrhunderts; darauf Palmen, Minarette, Kaftane, schön. bk

Bis zum 14. Mai im Staatlichen Museum für Naturkunde und Vorgeschichte, Damm 44, 0441-9244 300Tel.: . An Stelle eines Katalogs gibt es eine mit vielen Radierungen gespickte, süffig lesbare Biografie