: Sammlerrekord im Wedding
Berliner Bäcker ist deutscher Rekordhalter beim Sammeln für das Deutsche Kinderhilfswerk. Im vorigen Jahr wurde seine Spendendose 27 Mal gefüllt, über 3.000 Mark kamen zusammen. Insgesamt bringen die Büchsen über eine Million Markvon ADRIAN AUER
Die durchsichtigen Plastikdosen des Deutschen Kinderhilfswerk stehen auf über 100.000 Tresen, Kassen oder Vitrinen in ganz Deutschland. Jeder Pfennig, der in eine dieser Dosen eingeworfen wird, landet in einer Berliner Zählmaschine – in der Zentrale des Deutschen Kinderhilfswerkes (DKHW) in der Rungestraße in Mitte.
Am häufigsten wird die Dose von Mahmut Mamioglu geleert, Inhaber der Back + Snack-Bäckerei in der Müllerstraße in Wedding. Seit ein paar Tagen ziert eine neue Urkunde des DKHW seinen Laden: Über 3.000 Mark hat Mamioglu letztes Jahr gesammelt, 27 Mal musste seine Dose geleert werden. Zum dritten Mal hintereinander ist er damit deutscher Rekordhalter in dieser Sammeldisziplin.
Das Geheimnis hinter seinem Erfolg ist einfach: Einen großen Schein legt er jeweils selbst rein, und die Angestellten überlassen ihr ganzes Trinkgeld dem DKHW. „Wir kriegen gutes Trinkgeld, weil wir sehr sehr freundlich sind und die Leute mit der Ware zufrieden“, erzählt die Verkäuferin Christina Kirstein.
Sobald wieder eine der Plastikdosen gefüllt ist, wird sie von Manfred Höff abgeholt. Er ist der für Berlin zuständige Spendendosenbeauftragte und neben dem Laden von Mamioglu für 2.500 weitere Geschäfte in der Stadt verantwortlich. Am erfolgreichsten seien die türkischen Imbisse, sagt Höff. Am größten sei die Offenheit und Gutwilligkeit gegenüber der Aktion in Kreuzberg spürbar.
Der Dosenklau halte sich in Grenzen, Schwarze Schafe unter den Ladenbesitzern sind äußerst selten, sagt Höff. Nur eine einzige Dose sei bisher manipuliert und immer wieder unbemerkt geleert worden. Dies sei aber ein Einzelfall. Die Anzahl der Dosenstandorte zu erhöhen sei nur bedingt sinnvoll. Eine zu große Dichte habe sich als kontraproduktiv erwiesen. Mit der Kooperation der Berliner Ladenbesitzer ist Höffs sehr zufrieden. „Es macht Spaß, mit ihnen zu arbeiten.“
Bundesweit fahren rund 20 ehrenamtliche Mitarbeiter die Bäckereien, Banken, Apotheken und Gaststätten ab. Mike Kohn holt das Geld bei den Dosenverwaltern ab und bringt es in die Zentrale nach Berlin. Dort schüttet er es eigenhändig in die Zählmaschine. 42–45 Tonnen Hartgeld gehen jährlich durch seine Hände in die stark beanspruchte Maschine. „Nach drei Wochen ist der Antriebsriemen kaputt“, erzählt Mike Kohn fast stolz.
Die sortierten Münzen landen in Stoffbeuteln, die dann zugenäht werden. „Dafür gibt es eigens eine staatliche Münzbeutelschließverordnung“, lacht Kohn. Für Fremdwährungen werden Extrabehälter aufgestellt, um die Vermischung mit deutschem Kleingeld auszuschließen. Trotzdem spuckt die Maschine so viel Kleingeld aus, dass jährlich mehrere Bananenkisten damit gefüllt werden.
Neben der Fremdwährung findet sich aber weit Exotischeres in der Sammelbüchse. Kuchengabeln, Passfotos, Sicherheitsnadeln und Plastikchips gehören zu Kohns Sammlung. „Wir könnten deutschlandweit Autos waschen“, so Kohn. In katholisch dominierten Bundesländern würden oft Amulette in die Dosen gestopft, so der Sammel- und Sortierexperte. Der Raum, in dem die Zählmaschine steht, sieht nicht so aus, wie man sich einen Geldumschlagplatz vorstellt. Ein Bewegungsmelder ist zwar installiert, vergitterte Fenster oder Stahlschränke aber gibt es nicht. Hier zu klauen, sei überhaupt nicht lukrativ, so Herwig Frenzel, der Spendendosenbeauftragte. Schließlich könne man nicht mehr als 300 Mark in Münzform raustragen. Mit dem Spendenverhalten der Berliner ist er sehr zufrieden. „Die Berliner Dosen sind überdurchschnittlich gefüllt“, so Frenzel.
Die Spendendosenaktion gibt es schon seit der Gründung des Kinderhilfswerks 1972. Letztes Jahr kamen mit dieser Sammelaktion 1,25 Millionen Mark zusammen. Die Projekte, die das Kinderhilfswerk unterstützt, beschränken sich auf Deutschland. Prävention heißt das Hauptziel des DKHW. „Wir kümmern uns um Kinder am Rande des Brunnens“, erklärt Bundesgeschäftsführer Frederic Seebohm
die Philosophie des Hilfswerks. Die Betreuung der Kinder zu fördern, sei das Hauptanliegen. Dieses Ziel solle mittels Generationenbrücke erreicht werden. Diese sei ein Erfolg versprechendes Modell, bei dem Kinder durch die ältere Generation betreut werden sollen. Diese werde immer rüstiger und habe immer mehr Zeit.
Neben einer verstärkten Betreuung der Kids setzt sich das DKHW für eine vermehrte Mitsprache von Kindern an politischen Entscheidungsprozessen ein. Weitere Ziele sind die Verbesserung der Wohn- und Lebenswelten der Kinder in Deutschland und die Förderung kindergerechter Medien. Die Unterstützung von Kindern in Not sei außerdem eine zentrale Aufgabe. Seebohm: Über eine Million Kinder lebten in der BRD von Sozialhilfe.
Hinweis:
Außer Münzen stecken in den Dosen Passfotos und Kuchengabeln
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