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Demokratie gewählt

Ohne Putsch und größere Zwischenfälle ist im Senegal der demokratische Wechsel gelungen

aus Dakar VERONIKA EGGERSGLUSZ

In Dakar ist nur noch ein Wort zu hören: „Sopi“. Das ist Wolof, die größte Sprache des Senegal, und bedeutet „Wandel“. Immer wieder kommt es zu spontanen Freudenausbrüchen. Menschen tanzen auf der Straße, hoffnungslos überladene Autos und Mopeds fahren hupend umher, Schüler marschieren durch die Stadt, und alle skandieren „Sopi, Sopi“.

Die Senegalesen sind nach den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag zufrieden, erleichtert und stolz, dass sie diesen Wandel auf demokratischem Wege geschafft haben. Der 74-jährige Liberale Abdoulaye Wade, der seit Jahrzehnten versucht, an die Macht gewählt zu werden, besiegte den seit 19 Jahren regierenden Sozialisten Abdou Diouf (65). Nach 40 Jahren muss die Sozialistische Partei in die Opposition.

Kaum jemand hatte den Senegalesen einen solch friedlichen Wahlablauf zugetraut. Die Unruhen im Vorfeld und die ständigen Betrugsvorwürfe der Opposition gegen die Regierung ließen nach dem ersten Wahlgang Ende Februar auch andere Szenarien erwarten. Nun habe Senegal „den Beweis geliefert für die Vitalität seiner Demokratie“, lobte Hubert Védrine, Außenminister der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.

Nach den vorläufigen Ergebnissen hat Wade knapp 60 Prozent der Stimmen bei der Stichwahl erhalten. Vor allem die jungen Wähler konnte er für sich gewinnen. Frustriert von der Dauerherrschaft der Sozialistischen Partei (PS), sind sie in Massen an die Urnen geströmt. „Wir, die Jungen, haben keine Zukunft mit dem sozialistischen Regime“, sagte ein Student am Sonntag vor dem Wahlbüro. Die Jungwähler haben jetzt geschafft, was lange als unmöglich galt: die Regierung abzuwählen. „Senegal: dort, wo die regierende Partei nie eine Wahl verliert“, titelte der International Press Service (IPS) noch nach den letzten Parlamentswahlen 1998, als die PS die absolute Mehrheit behaupten konnte. Das ist vorbei.

„Die jungen Leuten sagen sich, dass jetzt alles möglich ist“, erklärt der Handelsvertreter Kaba Cissokho. „Sie werden früh aufstehen, um sich Arbeit zu suchen, oder sich andere Möglichkeiten ausdenken, um der Krise zu entkommen.“

Die Euphorie und das Vertrauen in die eigene Kraft werden zum Aufschwung führen – das ist das Rezept, mit dem Abdoulaye Wade nun den Senegal aus der Krise holen will. Seine Kritiker werfen ihm vor, „Sopi“ sei alles, was er an politischem Programm vorzuweisen hätte. Er habe keine konkreten Vorschläge, wie er die zahlreichen Probleme lösen wolle. Trotz eines guten Wirtschaftswachstums in den vergangenen fünf Jahren lebt ein großer Teil der Bevölkerung noch immer unter der Armutsgrenze. Die Hälfte der Kinder geht nicht zur Schule, das Jahreseinkommen pro Einwohner beträgt rund 900 Mark.

Doch zunächst ist es in den Augen von Wade das Wichtigste, die verkrusteten politischen Strukturen aufzubrechen. Noch vor dem 4. April, dem Nationalfeiertag, möchte er seine neue Regierungsmannschaft unter dem zukünftigen Premierminister und Hoffnungsträger Moustapha Niasse aufstellen. Zusammen mit ihm hat Wade einen „republikanischen Kalender“ entworfen, der im Laufe dieses Jahres den Übergang von dem bisherigen präsidialen System zu einer parlamentarischen Republik garantieren soll.

Mit einem Referendum wollen sie Senegal zu einer neuen Verfassung verhelfen. Im Mai soll der Regierungschef den Gesetzesvorschlag vorlegen, über den das Volk dann abstimmen soll. Er sieht die Auflösung der Volksversammlung, die Abschaffung des erst vor kurzem eingeführten Senats und die Übernahme eines neuen Wahlgesetzes vor. Spätestens im November sollen dann Parlamentswahlen stattfinden.

Seit 1974, als Wade die erste Oppositionspartei gründete, hat er für das Ende der Alleinherrschaft der Sozialistischen Partei gekämpft. In seinem fünften Anlauf bei Präsidentschaftswahlen hat er es geschafft. „Mein wichtigstes politisches Ziel war immer, den Senegal von diesem System zu befreien. Jetzt ist das System tot“, erklärte der neue Präsident noch am Wahlabend. „Wenn ich nun die Erde verlasse, wird es einen anderen Senegal geben.“

Einigen, vor allem älteren Senegalesen ist dies jedoch ein wenig zu viel. „Bislang hatten wir zumindest Frieden und Stabilität“, erklärt Elizabeth Fofane, die bereits mehrfache Großmutter ist, „aber keiner weiß, was jetzt kommt.“ Ungewissheit auf der einen, Vorfreude und Aufbruchstimmung auf der anderen Seite. Der Wandel in Senegal kann beginnen.

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