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Schluss mit lustig nach 5 Stunden

Jugendsenator Böger (SPD) will den Betreuungsanspruch in Kitas auf fünf Stunden reduzieren. Ausnahmen soll es nur für Eltern mit Arbeit oder förderungsbedürftigen Kindern geben. Scharfe Kritik von Bezirken, Eltern und Gewerkschaften

von SABINE AM ORDE

Nachdem Jugendsenator Klaus Böger (SPD) mit seiner Schulpolitik bereits Eltern, LehrerInnen, SchülerInnen und Gewerkschaften gegen sich aufgebracht hat, nimmt er sich jetzt die Kindertagesstätten vor. Dabei dürfte ihm eine ähnliche Reaktion sicher sein. Denn Böger will die Regelbetreuung in den Kitas von sieben auf fünf Stunden reduzieren. Wer seine Kinder länger in der Kita lassen will, muss das gesondert beim Jugendamt beantragen.

Die Leiter der bezirklichen Jugendämter haben gestern in einer gemeinsamen Stellungnahme das Vorhaben der Jugendverwaltung abgelehnt. Eltern, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und die Oppositionsparteien haben es als „familienfeindlich“ kritisiert. „Hier soll wieder einmal auf Kosten der Kinder gespart werden“, so Burkhard Entrup, Vorsitzender des Landeselternausschuss für Kindertagesstätten (Leak).

Stein des Anstoßes ist der Entwurf für eine Rechtsverordnung, mit der die Jugendverwaltung das Anmelde- und Bewilligungsverfahren für Kita-Plätze neu regeln will. Ziel sei es, so Bögers Sprecher Thomas John, die knapp 150.000 Kitaplätze der Stadt gerechter zu verteilen. In Vordergrund soll dabei die Versorgung der Kinder stehen, deren Eltern berufstätig sind. Kinder unter drei und über sechs Jahren werden nur noch aufgenommen, wenn die Eltern einen Job oder besonderen Förderbedarf ihres Sprößlings nachweisen können.

Für die Drei-bis Sechsjährigen gilt – laut Bundesgesetz – der Rechtsanspruch auf einen Halbtagsplatz. Sollen die Kinder länger bleiben, müssen die Eltern beim Jugendamt eine Genehmigung beantragen. Diese wird erteilt, wenn die Eltern berufstätig sind oder das Kind besonders gefördert werden muss.

Ganz neu sind diese Regelungen nicht. Sie sind im Kita-Gesetz angelegt, das die große Koalition Ende 1998 verabschiedet hat. Weil es bislang keine Rechtsverordnung gab, konnten die Bezirke die Bestimmungen sehr weit ausgelegen. Eine Betreuung von sieben Stunden ist die Regel.

Die Kritiker befürchten nun, dass es für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und auch für Familien nichtdeutscher Herkunft, in denen die Mutter häufig nicht erwerbstätig ist, schwer sein wird, einen Kitaplatz zu finden. Die Jugendamtsleiter lehnen es ab, den Bedarf in erster Linie an der Berufstätigkeit der Eltern festzumachen. „Das beschränkt das Recht eines Kindes auf Bildung, Betreuung und Erziehung“ wie es im Kita-Gesetz festgelegt sei, heißt es in ihrer Stellungnahme. „Da fallen eine Menge Kinder einfach raus“, sagt GEW-Referentin Bärbel Jung.

„Das ist absurd“, entgegnet Ulrike Herpich-Behrens, grüne Jugendstadträtin in Schöneberg. „Erst werben wir bei den türkischen Eltern, damit sie ihre Kinder in die Kita schicken, und dann wird ihnen der Zugang erschwert.“ Später würde dann über mangelnde Deutschkenntnisse geklagt. Heidi Eisner kennt dieses Problem. Sie leitet die Kita in der Bülowstraße, in einigen ihrer Gruppen sind bis 90 Prozent der Kids nichtdeutscher Herkunft. „Für viele von ihnen ist die Kita die einzige Chance, Deutsch zu lernen“, sagt sie. „Dafür reichen aber fünf Stunden täglich vom dritten bis sechsten Lebensjahr nicht aus.“ Auch für andere Kinder sei ein längerer Aufenthalt in der Kita wünschenswert, meint Lutz Reichert, CDU-Jugendstadtrat in Neukölln: „Manche Familien haben so große Probleme, da kann man über jede Minute, die die Kinder in der Kita verbringen, nur froh sein.“

Nicht nur für die Kids, auch für die Eltern entstehe ein „Teufelskreis“, sagt die sozialpolitische Sprecherin der Grünen, Elfi Jantzen: „Wer keine Arbeit hat, bekommt keinen Kitaplatz für sein Kind und wer keinen Kita-Platz nachweisen kann, bekommt keine Arbeit.“ Senator Böger weist die Vorwürfe zurück: „Eine Verschlechterung ist nicht beabsichtigt“, sagte er gestern im Abgeordnetenhaus. Mehr fiel ihm zu dem Thema nicht ein.

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