: Der Schuss ins Herz des Volkes
Oscar Arnulfo Romero liegt in der staubigen Krypta, die Hymne seines Mörders dudelt im Radio, und ein Opus-Dei-Priester predigt in seiner Kirche
Aus San SalvadorTONI KEPPELER
Die Kathedrale im Zentrum von San Salvador ist so hermetisch, dass sie sich sicherlich innerhalb kürzester Zeit in einen Atommeiler umrüsten ließe. Wegen der ständigen Erdbebengefahr wurden hier Abertausende Tonnen von Stahlbeton verbaut. Eine wuchtige Kuppel, zwei ebenso wuchtige Türme. Und wie bei einem Atomkraftwerk hält sich in seiner direkten Umgebung niemand gerne auf, weil es zu gefährlich ist. Ein so martialischer Betpalast vermag keinen einzigen Taschendieb, keinen Messerstecher und kein Mitglied einer der vielen Jugendbanden zum Innehalten zu verleiten. Eher fordert er heraus.
Das Innere der Kathedrale versucht erst gar nicht, so etwas wie Andacht aufkommen zu lassen. Die Architektur fordert Demut und sonst gar nichts.
Oben beten die Reichen, unten liegt Romero
Sonntag für Sonntag zelebriert hier Fernando Saenz Lacalle eine Messe, und es ist dies die einzige Stunde in der Woche, zu der sich die feinen Leute aus den Nobelvierteln Escalón, San Benito und Santa Elena ins Zentrum wagen. Denn Saenz Lacalle ist einer der Ihren. Seit der Opus-Dei-Mann und ehemalige Militärbischof mit Offiziersrang im April 1995 zum Erzbischof von San Salvador aufstieg, haben sie sich die katholische Kirche zurückerobert.
Im Untergeschoss der Kathedrale liegt Erzbischof Oscar Arnulfo Romero, ermordet heute vor zwanzig Jahren beim Zelebrieren einer Totenmesse. Im Vatikan läuft seit Jahren ein Verfahren zu seiner Seligsprechung, für die Armen El Salvadors ist er längst der „Heilige Romero von Amerika“. Die Gruft ist weitläufig, düster, staubig. Eine heruntergekommene Tiefgarage.
An den Sonntagen vor dem zwanzigsten Todestag Romeros trafen sich hier die Reste der christlichen Basisgemeinden, um ihres ermordeten Hirten zu gedenken. Meist kommen sie aus dem Hinterland. Aus Weilern, in denen es immer noch keinen Strom gibt, keine Wasserleitung und keinen Gesundheitsposten. Sie liegen keine hundert Kilometer von San Salvador entfernt. Und doch müssen sich ihre Bewohner schon am Tag zuvor auf den Weg machen, um rechtzeitig zur Feierstunde in der Kathedrale zu sein.
Die von Romero gepredigte Befreiung durchs Evangelium lässt noch immer auf sich warten. Nach der Meditation im Halbdunkel der Gruft stehen die Armen Spalier im gleißenden Licht der Tropensonne auf dem Domvorplatz. Die feinen Leute, die um diese Zeit aus ihrer Sonntagserbauung entlassen werden, versuchen, die faltigen Gesichter, die zahnlosen Münder, die groben Hände und die billigen Nylon-Kleider zu ignorieren. Ältere Damen schützen sich mit Schirmchen vor den harten Strahlen der Sonne und erhalten sich so ihre vornehme Blässe.
Die unsichtbare Grenze, die bis heute die feinen Leute von der verarmten Masse trennt, gibt es in El Salvador seit mehr als 500 Jahren. Doch als Oscar Arnulfo Romero am 22. Februar 1977 sein Amt als Erzbischof von San Salvador antrat, war diese Trennlinie mehrfach verletzt worden. Seit dem Ende der Sechzigerjahre hatten Seminaristen die Landarbeiter in der „Christlichen Föderation der salvadorianischen Bauern“ (Feccas) organisiert. Es gab Streiks gegen Ausbeutung und Landbesetzungen. Die Oligarchen schickten das Militär. Auf die wachsende Repression reagierten seit Anfang der Siebzigerjahre gleich mehrere Guerilla-Organisationen. Das halbe Priesterseminar von El Salvador schloss sich diesen Gruppen an, die nur stark genug waren für einzelne Attacken, Anschläge und Entführungen. An einen Befreiungskrieg war noch nicht zu denken.
Dass in dieser Situation Romero zum Erzbischof geweiht wurde, hatte seinen Sinn. Er war vorher Bischof von San Miguel, einer bis heute stockkonservativen und militärfreundlichen Garnisonsstadt im Osten des Landes. So wie die Stadt, dachte man im Vatikan, so der Bischof. Er sollte Schluss machen mit der Agitation seiner Seminaristen. Und wie um dies warnend zu unterstreichen, ermordete eine Todesschwadron am 12. März 1977 den Landpfarrer Rutilio Grande, der in Aguilares im Norden von San Salvador die Bauern organisiert hatte.
Für Oligarchie und Militärs war Romero ein Kommunist
Grande war ein enger Freund von Romero. Der Mord an ihm hatte nicht die gewünschte Wirkung. „Von da an hat sich Romero verändert“, sagt später Arturo Rivera y Damas, sein direkter Nachfolger im Amt des Erzbischofs. Romero boykottierte fortan alle staatlichen Empfänge. Stattdessen besuchte er Armenviertel und Bauerngemeinden. In seinen sonntäglichen Predigten trauerte er um die Opfer – und nannte die Täter. Er forderte den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter öffentlich auf, die Militärhilfe für El Salvador zu streichen.
Kein Wunder, dass der aufmüpfige Bischof in den Augen von Oligarchen und Militärs längst zum gefährlichen Kommunisten mutierte. Eine Woche vor seinem Tod wurde neben seinem Altar ein Sprengsatz endeckt und entschärft. Die rechte Tageszeitung El Diario de Hoy hetzte, die Militärs sollten „schon einmal ihre Gewehre ölen“.
Doch Romero predigt am 23. März 1980: „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt. Es sind Brüder aus unserem eigenen Volk, die ihre eigenen Brüder auf dem Land töten. Niemand muss einem unmoralischen Befehl gehorchen. Im Namen Gottes und im Namen dieses leidgeprüften Volkes, dessen Klagen jeden Tag lauter zum Himmel steigen, ersuche ich euch, bitte ich euch, befehle ich euch: Hört auf mit der Repression!“
Am Tag darauf, als Romero in der Krankenkapelle des „Spitals zur göttlichen Vorsehung“ eine Totenmesse las, wurde er erschossen. Der Attentäter brauchte nur eine Kugel des Kleinkalibers 22, zielgenau übers Herz gesetzt. Ein Kirchenmann mutmaßte: „Das war keiner von unseren Killern. Die mähen ihre Opfer mit 25 bis 30 Schuss aus der Maschinenpistole nieder.“ Der damalige US-Botschafter Robert White gab zu Protokoll, er habe Informationen, nach denen ein exilkubanischer Scharfschütze für den Mord angeheuert worden sei.
Der Mord machte endgültig klar, dass Vermittlung und Verhandlung keinen Platz mehr hatten in El Salvador. Hector Dada, der 1979 kurzzeitig Mitglied einer Regierungsjunta aus Christdemokraten und Militärs war, vermutete, dass mit dem Schuss ins Herz von Romero ein unvorbereiteter Volksaufstand ausgelöst werden sollte, der dann leicht militärisch zu unterdrücken gewesen wäre. Tatsächlich aber war der Tod des Erzbischofs der Ausgangspunkt eines zähen Bürgerkrieges. Zwölf Jahre, mehr als 75.000 Tote.
Schon wenige Wochen nach dem Attentat fand man Unterlagen, die den Auftraggeber des Mordes nannten. Aber erst 1993 veröffentlichte die salvadorianische Wahrheitskommission das Dossier: „Der ehemalige Major Roberto D'Aubuisson gab den Befehl, den Erzbischof zu ermorden. Er gab präzise Anweisungen an seine als Todesschwadron operierenden Sicherheitskräfte, und er organisierte und überwachte die Ausführung des Mords.“
D'Aubuisson hat dies nie abgestritten. Jedem, der es hören wollte, sagte er freundlich lächelnd: „Das muss mir erst einmal nachgewiesen werden.“ Der ehemalige stellvertretende Geheimdienstchef und Drahtzieher der Todesschwadronen wusste, dass er sich auf die korrupte salvadorianische Justiz verlassen konnte. Bis zu seinem Krebstod Ende Februar 1992 blieb er unbehelligt. Die politische Rechte in El Salvador verehrt ihn bis heute wie einen Heiligen.
Der Romero-Mörder gründete die Regierungspartei
Denn der charismatische Kommunistenhasser D'Aubuisson, für den selbst Christdemokraten linksextrem waren, schuf etwas, was bis heute Bestand hat: 1981 gründete er die „Republikanisch Nationalistische Allianz“ (Arena). 1989 kam die Partei an die Regierung. Sie hat sie bis heute nicht mehr abgegeben. Noch immer verbindet sie ihre an den Faschismus erinnernde nationalistische Ideologie mit einer neoliberalen Praxis, die unter „Strukturanpassung“ die Ausplünderung des Staats zugunsten eines mafiösen Oligarchen-Klüngels versteht. Immer am Todestag ihres Gründervaters pilgern Parteispitze und Kabinett zum Heldenfriedhof von San Salvador und rühmen dort seine Taten. Der Mord an Romero wird dabei nicht erwähnt.
Selbst die katholische Kirche hat den Bischofsmörder nie verstoßen. Papst Johannes Paul II. heuchelte nach dem Mord zwar etwas von „Schmerz und Leid“. Als er aber 1983 zum ersten Mal El Salvador besuchte, schüttelte er D'Aubuisson freundlich die Hand. Und seit der Opus-Dei-Mann Saenz Lacalle auf dem Stuhl des Märtyrers sitzt, sind diejenigen, die diesen als „Heiligen Romero von Amerika“ verehren, wieder die Kellerkinder der Kirche. Unten, am Grab, in der staubigen Krypta.
Ob D'Aubuisson das in seinem Hohn ahnte, als er im Jahr nach dem Mord eine Hymne für die heutige Regierungspartei „Arena“ dichten ließ? „El Salvador wird das Grab der Roten sein“, heißt es in einer Zeile. Während des Wahlkampfs der vergangenen Wochen dudelte das schmissige Lied alle paar Minuten über sämtliche Radiostationen und Fernsehsender. Und am 12. März wurde in San Miguel, wo Romero die Bischofsweihe empfangen hatte, ein Mann zum Bürgermeister gewählt, der vor drei Jahren als Finanzier einer Todesschwadron verhaftet worden war.
Natürlich ist er ein paar Monate später wieder freigekommen – aus Mangel an Beweisen.
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