: Gepflegte Klingenführung
Warum der Besuch bei einem Barbier ein Megapläsier ist. Die Wiederentdeckung eines wunderbaren Handwerks ■ Von Eberhard Spohd
Manchmal kommt es vor, dass die terminliche Überlast zu groß wird. Da muss der Mann auf manches verzichten. Aufs Rasieren zum Beispiel. Und schon nach einer Woche fühlt sich der sonst so schnieke Gescheitelte an wie ein Weihnachtsbaum nach vier Wochen: Er piekst sehr unangenehm. Die Freundin verweigert die üblichen Zärtlichkeiten. Am Doppelkinn scheuern die Stoppeln die eigene Haut auf. Eine Rasur muss her.
Doch leider kann der Elektrorasierer solche Haarlängen nicht mehr meistern. Die Nassvariante scheidet auch aus. Die Widerbors-ten verstopfen bereits nach wenigen Strichen unwiderruflich die viel zu nah beieinanderstehenden Klingen. Und mit dem Rasiermesser kann der Mann heute nicht mehr umgehen. Da bleibt nur eine Alternative: ein Barbier.
Doch hüte man sich davor, einen deutschen Friseur aufzusuchen. Hat der den scharfen Schnitt tatsächlich noch im Angebot, kann man sicher sein, dass er seit seiner Lehrzeit keine Klinge mehr geführt hat. Das Resultat ist ernüchternd: Zwischen den blutigen Schnittwunden, die nur langsam wieder verheilen, sprießen weiterhin einige Härchen, die partout nicht zu kupieren waren. Nein, in schweren Fällen muss man sich schon ins Schanzenviertel oder nach St. Georg bewegen und einen türkischen Figaro aufsuchen.
Dort ist die Kunst des Haarekürzens noch zu Hause. Zunächst wird der stark basische Schaum mit dem Dachshaar-Pinsel angerührt und gleichmäßig in der unteren Gesichtshälfte verteilt. Mit einem klickenden Geräusch springt die Wechselklinge ins Messer. Kurz wird noch über die Länge der Koteletten diskutiert, dann folgt der ers-te Schnitt.
Professionell weiß der Friseur, wo er die Haut spannen muss, um mit oder gegen den Strich zu schaben. Rasch und mit kleinen streifenden Bewegungen befreit er den Mann von Seifenschaum und Haaren. Genüssliche Schauer rinnen den Rücken hinunter, wenn die Problemzonen am Hals bearbeitet werden. Vielleicht sollte man sich doch nicht so viele Splatter-Filme mit aufgeschlitzten Kehlen ansehen.
Im Grübchen am Kinn ist ein Stoppel in die Haut eingewachsen. Eine Pinzette entfernt das Problem. Mit beherztem Griff wird die Nase nach oben gezogen, um die Oberlippe vom renitenten Schnauzer zu befreien. Endlich: Der Bart ist ab, die Behandlung aber noch nicht zu Ende. Jetzt wird ein dampfend heißes, feuchtes Tuch aufgelegt, um die Haut zu entspannen. Und noch ein zweites Mal, nachdem die letzten kleinen schwarzen Punkte im Gesicht abrasiert worden sind. Jetzt noch schnell mit einem angefeuchteten Alaunstein mit der adstringierenden Wirkung die feinen Wunden verschließen. Das leichte Brennen wirkt geradezu angenehm. Bleiben nur noch die feinen Härchen auf den Wangen.
Um diese zu beseitigen nudelt der Friseur einen Bindfaden zusammen und spannt die beiden Enden. Sausend zwirbelt er unter leichtem Zwicken die Behaarung von Antlitz. Nun noch ein nach Limonen duftendes After-Shave einmassiert – eine wohlige Akupressur der Stirn ist inbegriffen –, und der Mann hat wieder ein Gesicht wie ein Babypopo. Für zehn Mark winken zwanzig Minuten Wohlleben und Entspannung. Dazu kommt: Die Geliebte dankt die Behandlung mit freundlichen Küssen.
Das muss es gewesen sein, woran der Wiener Dichter h. c. artmann dachte, als er sein Wundermittel gegen einen starken Kater preisgab: „An Schweinsbraten und a scharfe Rasur“.
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