„Wir stehen noch ganz am Anfang“

Immer mehr Drogen-KonsumentInnen in Hamburg steigen auf Crack um. Die Hilfe-Einrichtungen stehen bisher noch relativ ratlos vor dieser neuen Entwicklung  ■ Von Elke Spanner

Auch Brandneues kann veraltet sein. Gestern feierte das „Drobill“ Eröffnung, demnächst wird eine weitere Fixerstube bei „Ragazza“ in St. Georg eingeweiht. Die Räume sind neu und durch das Betäubungsmittelgesetz auch neu legalisiert. Doch die Konzepte hinken hinterher. Denn die illegale Drogenszene in Hamburg wird nicht mehr primär von Heroin bestimmt. Immer mehr KonsumentInnen nehmen Kokain, seit zwei Jahren verstärkt in Form von rauchbarem Crack.

Während die repressive Seite der Drogenpolitik reagiert und eine Sonderarbeitsgruppe „Crack“ beim Landeskriminalamt gebildet hat, steht das Hilfesystem noch relativ ratlos vor der neuen Entwicklung. Der Senat äußerte in der Antwort auf eine Anfrage des Regenbogens die Erwartung, „dass das in den Einrichtungen tätige Fachpersonal imstande ist, auf den entsprechenden Bedarf sachgerecht zu reagieren“. Die Betreiber der Einrichtungen melden Zweifel an.

Crack ist Kokain, das „gebased“ wurde – das heißt mit Backpulver oder Natronlauge aufgekocht. Bei unbehandeltem Kokain lässt die Wirkung auf sich warten. Bei Crack tritt sie fast umgehend ein. Der Kick kommt schnell und intensiv. Nur wenige Minuten hält er an. Der Euphorie folgt die Depression. Viele rauchen deshalb nahezu pausenlos, bis zu 30 Pfeifen am Tag. Die meis-ten nehmen zusätzlich Heroin – um die Depression abzudämpfen.

Dass der Stoff geraucht werden kann, ist einer der Gründe für die Anziehungskraft von Crack. Damit erklärt sich auch, warum es anfangs „überwiegend AusländerInnen aus dem muslimischen Glaubensbereich genommen haben“, wie „freiraum“-Geschäftsführer Norbert Dworsky weiß: In deren Religion ist es verpönt, den eigenen Körper durch eine Spritze zu verletzen. Mittlerweile, so Peter Möller vom „Drob Inn“, nehmen es auch viele Leute, die früher Heroin gespritzt hatten. „Es greift um sich.“

In die Hilfseinrichtungen, etwa die Gesundheitsräume, trägt die neue Droge neue Probleme hinein. Die Projekte sind an HeroinkonsumentInnen orientiert. Die werden durch ihren Stoff eher abgedämpft, introvertiert, schläfrig. Crack hingegen bewirkt den entgegengesetzten Kick: Es pusht auf, ruft Glücksgefühle hervor und die Gewissheit, unbezwingbar stark zu sein. Die Pupillen der RaucherInnen sind so stark geweitet, dass sie „Tellerminen“ genannt werden. Auch die Geräuschempfindlichkeit ist extrem erhöht. Die Reizaufnahme der KonsumentInnen ist gesteigert – und die Gefahr der Reizüberflutung groß. „Ein unerwartetes Geräusch, und die Leute rasten aus“, erklärt Dworsky. Aus dem Drob-Inn, so Leiter Peter Möller, seien aufgrund der latenten Aggressivität der Kokainisten schon Heroin-KonsumentInnen weggeblieben.

„Momentan probieren wir vieles aus. Wir stehen noch ganz am Anfang“, sagt Dworsky. Ende Mai kommt ein Pfarrer zu einer Veranstaltung nach Hamburg, der in Rotterdam für Crack-KonsumentInnen sogenannte „Basements“ eingerichtet hat: Abgedunkelte, reizarme Räume, in denen die aufgeputschten KonsumentInnen zur Ruhe kommen sollen. Auch Dworsky spricht sich für derartige Chill-Out-Räume aus. Im „Fixstern“ im Schanzenviertel hat er bereits Liegestühle aufgestellt.

Nur wer zur Ruhe gekommen ist, ist auch für Hilfe ansprechbar. Wer am Tag 20 bis 30 Pfeifen raucht und pausenlos neuem Stoff hinterherjagt, ist es nicht. Schwer ist es, die KonsumentInnen überhaupt öfters anzutreffen und einen längerfristigen Kontakt aufzubauen. „Wir brauchen ein Hilfesystem, das ebenso schnell ist wie das Leben der KonsumentInnen“, fordert „Palette“-Geschäftsführer Rainer Schmidt: Keine langen Wartelis-ten, keine längerfristigen Termine.

Als wirksame Therapiehilfe habe sich Akupunktur erwiesen, das stillt den „Drogenhunger“. Bei der Finanzierung aber stellen sich die Krankenkassen quer. Die bestehenden Akupunkturambulanzen sind deshalb nicht so anonym und unkompliziert zu nutzen wie etwa eine Fixerstube. „Die Straßen-Crack-Szene erreichen wir damit nicht“, bilanziert Schmid. Dafür, so Klaus Fährmann vom Streetworker-Projekt „Laufwerk“ am Hauptbahnhof, „braucht man aufsuchende Sozialarbeit: Akupunktur ist erst der zweite Schritt. Erst mal muss man die Leute überhaupt erreichen. Und dafür muss man sich zu ihnen hinbegeben.“

Wie hoch das Suchtpotential von Crack ist, ist in der Szene bekannt. Der stellvertretende Leiter der Therapieklinik Bokholt, Wolfgang Weidig, weiß von etlichen seiner kokain-konsumierenden PatientInnen, dass sie deshalb vor Crack zurückscheuen. Fachleute beruhigen zumindest, dass Crack in Hamburg kaum Jugendliche neu an Drogen heranführt, die zuvor noch keinen Kontakt zur Szene hatten. Zwar ist es eine „Modedroge“, und „natürlich wachsen immer neue Leute nach, auch aus der Ecke derer, die zuvor Speed, Amphetamine oder Ecstasy genommen haben“, sagt Dworsky. Die Zahl derer sei aber marginal. Vor allem sei Crack „ein neues Konsummuster von Leuten, die vorher schon in der Drogenszene waren“.