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Der Kleingeldmann

Früher war er Clochard, heute verkauft er selbst gehäkelte Mützen. Und Sonntagnacht ist er bei den Oscars dabei: Rolf Fahrenkrog-Petersen, Hauptdarsteller des Kurzfilms „Kleingeld“

von VOLKER WEIDERMANN

So. Das ist hier die Geschichte von einem Glück. Von einem plötzlichen Glück, einem Lebensrettungsglück durch die Kunst. Auch eine etwas kitschige Geschichte. Aber wahr.

Der Mensch, von dem hier die Rede ist, heißt Rolf Fahrenkrog-Petersen. Sein einziges Glück war, dass er zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort den richtigen Menschen getroffen hat. Der Rest ging dann scheinbar wie von selbst. Es war 1993. Wir nehmen an im Frühling. Fahrenkrog-Petersen stand an der Ecke Reichenberger Straße/Kottbusser Damm und schnorrte. Wie jeden Tag. Er war schon Jahre hier. Machte immer ein paar Showeinlagen, war charmant und hatte einige regelrechte Stammkunden. Die ihm täglich ein, zwei Mark gaben und manchmal sagten: „Mensch, du bist doch noch gut beisammen. Haste doch nicht nötig, hier zu schnorren.“ Aber Fahrenkrog-Petersen war alles andere als gut beisammen: schwerer Alkoholiker, drei Flaschen Wodka am Tag, eine akute Bauspeicheldrüsenentzündung noch dazu. Mehrmals war er schon auf der Intensivstation vom Urban-Krankenhaus aufgewacht. Lange hätte er es nicht mehr gemacht.

Na und dann kam also jenes Glück vorbei. Ein freundlicher Herr, der sagte nur: „Ich brauche noch einen Wladimir. Für Becketts ‚Warten auf Godot‘. Hast du Lust, morgen in die Volksbühne zu kommen?“ Petersen meinte: „Verarschen kann ich mich selber. Gib mir lieber ne Mark.“ Aber der andere insistierte. Er sei Regisseur bem Obdachlosentheater „Die Ratten“. Und er finde, Petersen habe Talent. Er solle kommen.

Und Petersen kam. Mischte erst mal, besoffen wie er war, den Laden auf. Beharrte auf Änderungen am Beckett-Text („Du hast ’ne schlechte Übersetzung, Mann“) und sollte dann doch lieber erst mal zuschauen. Aber Fahrenkrog-Petersen wollte spielen. Unbedingt. „Zum ersten Mal im Leben wollte ich etwas wirklich. Ich wusste, ich muss Theater spielen.“ Am Abend ging er zu seinem Bruder in die Wagenburg in der Wuhlheide und machte einen radikalen Selbstentzug, bei dem er „fast draufgegangen wäre“. Als er dann endlich, clean und halbwegs bei Kräften, wieder in die Volksbühne kam, hatten die zwar gerade den Wladimir mit jemand anders besetzt. Aber ein Estragon war noch frei. Von dem Tag an spielte Rolf Fahrenkrog-Petersen Theater.

Zunächst nur mit den „Ratten“. Später übernahm er auch kleinere Filmrollen. In „Männerpension“ und „Nachtgestalten“ hat er mitgespielt, zuletzt auch mal in einer Jacobs-Kaffee-Werbung. Und morgen Nacht, wenn in Los Angeles die Oscars vergeben werden, sitzt Rolf Fahrenkrog-Petersen im Publikum und wartet, ob der Film, in dem er eine Hauptrolle spielt, einen Oscar gewinnt.

Als ihm der Potsdamer Filmstudent Marc-Andreas Bochert das Drehbuch zu seinem Film „Kleingeld“ zeigte, war Fahrenkrog-Petersen begeistert: „Aus meinem Leben. Der hatte eine Szene aus meinem Leben geschrieben“, sagt er: Es ist die Geschichte von einem Schnorrer und einem Nadelstreifenmann, die Geschichte von zwei Welten, die sich täglich für einen Moment berühren, von zwei Menschen, die sich mögen, ohne sich zu kennen, die sich verlieren, weil sie sich nicht verstehen – eine Geschichte von Abhängigkeit, Dankbarkeit und Schuld. Fahrenkrog-Petersen, der, seit er 15 war, auf der Straße gelebt hat, spielt hier seine Lebensrolle, ohne eine Wort zu sagen, nur mit seiner Mimik beherrscht er den kurzen Film. Und wenn „Kleingeld“ an diesem Wochenende einen Oscar gewinnen sollte, dann liegt das nicht zuletzt an ihm.

Rolf Fahrenkrog-Petersen ist heute ein glücklicher Mensch. Neben der Schauspielerei verdient er sein Geld mit Häkeln. Er häkelt Mützen. In unterschiedlichsten Formen und Farben. Eine ganze Kollektion, die er auf dem Kunstmarkt auf der Straße des 17. Juni und auf Modemessen verkauft. Er hat inzwischen ein kleines, edles Studio am Rande des Görlitzer Parks. Schöner Parkettboden, hell, große Fenster, Blick über den Park; eine Auswahl der letzten Häkelkollektion ist ausgestellt. In der Ecke ist eine Art Bar, im Regal dahinter stehen kleine, bunte Limonadenflaschen. Es läuft eine Beethoven-CD. Fahrenkrog-Petersen sitzt an der Bar, zeigt Bilder aus seinem Leben, seinen Sohn, Schauspielstationen, liest eigene Gedichte vor, sagt: „Manchmal glaub ich, das ist ein Wunder“, und muss dann auch schon los, zum Smokingverleih. Los Angeles ruft.

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