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Wenn im Internet Schnellschach gespielt wird, gewinnt Roland Schmaltz fast immer

aus dem NetzHARTMUT METZ

Manchmal kommt sogar das renommierte Times Magazine bei den Vozügen des Internets ins Schwärmen. „Er ist so befriedigend, dass er verboten gehört. Die Rede ist vom Internet Chess Club (ICC)“, adelte das Magazin das beliebteste Schachangebot im Netz. „Sonntagabends sind dort meist 2.300 Spieler gleichzeitig eingeloggt – Wahnsinn“, zeigt sich auch der dreifache Internet-Schachweltmeister Roland Schmaltz aus Mannheim erstaunt über die Entwicklung des am stärksten frequentierten Schachservers (www.chessclub.com).

Deutlich weniger tut sich bei der abgespalteten Gegenbewegung „Free Internet Chess Club“ (FICS). Protestler, die sich unter www.freechess.org tummeln, verweigerten die 49 Dollar Jahresbeitrag beim anderen Account und machten ihren eigenen auf.

Da der ICC neben einer kostenlosen Testwoche allerlei Unterhaltung rund um das königliche Spiel bietet, wächst seine Klientel unaufhörlich. Für ein Schwätzchen finden sich Schachfans, auch um ein paar Partien zu spielen. Täglich werden 100.000 Begegnungen ausgetragen.

Doppel-Whopper trifftauf Käpt’n Blaubär

Man benutzt Pseudonyme wie Mr. Spock, Doppel-Whopper oder Käpt’n Blaubär. Als „Habichtauge“ (Hawkeye) firmiert Weltmeister Schmaltz im Netz. Meist werden Duelle mit drei Minuten Bedenkzeit je Akteur ausgetragen, weil die wenigsten Lust auf stundenlange Konzentration wie in Turnierpartien verspüren.

Noch schneller geht es bei Hawkeyes eigener Domäne, dem „Bullet“, zu. Die Verrücktheit beginnt hier schon in der Arithmetik. Normalerweise sollte man annehmen, dass eine Partie, bei der jeder Spieler eine Minute Bedenkzeit hat, insgesamt zwei Minuten dauert.

Dem ist aber nicht so. Sie dauert drei Minuten. Denn die Spieler nutzen die so genann- ten „Lags“, die Übertragungszeiten zum Schachserver, die bei langsamen Verbindungen bis zu einer Sekunde betragen, um ihren Zug auf dem gewünschten Feld anzudeuten. Trifft die vermutete Antwort des Gegners ein, lässt man die eigene Figur postwendend „droppen“ (fallen). Das führt oftmals zu haarsträubenden Schnitzern, spart allerdings viel Zeit, weshalb durch diese Art des „Blindekuhspiels“ (Großmeister Philipp Schlosser alias Fitzlibutzli) bis zu zweihundert Züge in sechzig Sekunden auszuführen sind. Als bisher einziger Mensch hat es Hawkeye sogar geschafft, ein Schachprogramm durch Zeitüberschreitung zu bezwingen.

Im Bullet kann dem pfeilschnellen Zweitligaspieler Roland Schmaltz, der für Eppingen spielt, keiner das Wasser reichen. Selbst ein mit allen Tricks arbeitender Großmeister wie Maxim Dlugy (USA) war im Vorjahr beim 5,5:10,5 chancenlos. Heuer fertigte Hawkeye im Halbfinale erst US-Großmeister Larry Christiansen ab, der entnervt nach dem 0:5 aufgab. Danach machte der 25-Jährige durch ein 10,5:5,5 über den Spanier Vallejo bei der dritten WM seinen Hattrick perfekt.

„Wer das Spiel liebt, wird schnell süchtig“, räumt Schmaltz ein, der seit dem Abbruch seines Betriebswirtschaftsstudiums und dem Beginn der Ausbildung zum Fachinformatiker auf „nächtelange Sessions“ verzichtet.

„Zu viel Internet gefährdet die Gesundheit. Man sollte sich auf 10 bis 15 Partien pro Tag beschränken“, meint Alexander Morosewitsch. Der junge Russe, der meist ohne Pseudonym spielt, zieht mit über 200 die meisten Zuschauer bei seinen Blitzpartien an. Nicht nur weil er die Drei-Minuten-Rangliste anführt – hier liegt Schmaltz derzeit auf Position vier –, sondern weil er auch in der außervirtuellen Schachwelt die Nummer vier auf dem Globus ist.

Sieg gegen Garri Kasparow dank Zeitüberschreitung

Wie viele andere Großmeister schätzt Morosewitsch die Möglichkeit, sich ständig zu üben und vor allem neue Eröffnungsideen zu testen. Zu diesem Zweck hat sich selbst schon Garri Kasparow auf dem ICC-Server getummelt. Das 36-jährige Schachgenie stellte bei seinem Gastspiel während des vergangenen Sommers zunächst klar: „Entschuldigung, ich bin hier zum Spielen, nicht zum Quasseln.“

Sein exorbitantes Ergebnis von 33 Siegen, zehn Remis und nur vier Niederlagen gegen die Creme des Internets, die ihm das damalige Rekord-Rating von 3.222 Punkten einbrachte, vertrieb den letzten Zweifel: Hinter dem Decknamen Vadik musste sich der stärkste Spieler aller Zeiten verbergen. „Zudem heißt Kasparows Sohn Vadik“, nennt Roland Schmaltz ein weiteres Indiz.

Bullet-Weltmeister Hawkeye, der auf Grund seiner Denkfaulheit und Ungeduld am realen Holzbrett „nur“ Internationaler Meister und die deutsche Nummer 22 ist, bot Kasparow Paroli. Die erste Blitzpartie endete remis, die zweite ging vor zahlreichen Fans an den Monitoren an den Russen, die dritte blieb erneut ohne Sieger. Als dem Internetspezialisten dann dank gegnerischer Zeitüberschreitung der 2:2-Ausgleich gelang, trollte sich der andere Weltmeister.

Hawkeye hatte einmal mehr seine „rasche Auffassungsgabe“ und vor allem sein „schnelles Händchen mit der Maus“ bewiesen. Habichte verteidigen ihr Revier manchmal auch mit Mäusen.

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