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Hamburg bis Haifa

„Liebe Perla“ im Metropolis erzählt von einer kleinen Künstlerin, die Mengele überlebt hat  ■ Von Tobias Nagl

Sie habe geweint, sagt sie, als sie von Mengeles Tod in der Zeitung gelesen habe. Den Artikel habe sie aufgehoben. Er sei immer höflich gewesen, hätte sie nie geschlagen. Und ohne die Experimente wären sie doch einfach umgebracht worden.

Ihre Gäste aus Deutschland wollen das nicht so recht hinnehmen. Schließlich sei doch bekannt, was Mengele mit kleinwüchsigen Menschen in Auschwitz angestellt hat. Auch Perla weiß das. Und sie weiß es besser als alle, die zu Kaffee und Kuchen an ihrem Wohnzimmertisch in Haifa Platz genommen haben. Denn Perla ist eine der Glücklichen, die Auschwitz überlebt haben. Doch dieses Glück ist brüchig, es kündet genauso – das wird immer deutlich, wenn sie um Worte ringt, die benennen sollen, wie es denn wirklich war – vom Grauen, das ihr Überleben ermöglichte und sie umgab. Ganz plötzlich beginnt Perla zu sprechen, in den Momenten größter Alltäglichkeit, als koste sie es immer auch Überwindung, von den Näharbeiten aufzublicken oder die Gespräche über das Wetter in Haifa zu unterbrechen und sich der Erinnerung zu stellen.

Perla Ovici ist 79, wuchs in einer Künstlerfamilie in Marmarosch-Siget, Transsylvanien, auf und hatte 9 Geschwister. Sieben von ihnen waren kleinwüchsig. Nach dem Tod der Eltern gründeten sie eine vor dem Krieg bald ziemlich erfolgreiche Musiktheater-Gruppe, um weiterhin zusammen leben zu können. Während des Kriegs wurde die gesamte Familie nach Auschwitz deportiert und gehörte zu jener Gruppe von Zwillingen, „Zigeunern“ und „Zwergen“, an denen Mengele, der stets höfliche und, wie alle Zeugen, die in Liebe Perla zu Wort kommen, beteuern, allein an medizinischen Ergebnissen interessierte „Todesengel von Auschwitz“ seine grausamen Experimente vollführte.

Nach der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Rote Armee emigrierten die Ovicis über Belgien nach Haifa in Israel. Dort fassten sie erneut als Künstler Fuß und betrieben bis zum Tod der ältesten Schwester ein Musiktheater, später eröffneten die verbliebenen Schwestern ein Kino und ein Kaffeehaus. Perla Ovici lebt heute allein und zurückgezogen in Haifa. Die Grandezza und Schönheit einer großen, allenfalls etwas klein gewachsenen Theaterdiva konnte ihr allerdings niemand nehmen.

Shahar Rozens zurückhaltend inszenierter Liebe Perla, der auf dem Haifa-Filmfestival 1997 den Preis für das beste Drehbuch erhielt, ist damit zunächst einmal Perlas Film. Er entwickelt sich als Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zweier kleinwüchsiger Frauen, als Erzählung der Briefe, Besuche und Gespräche zwischen Perla und der in Hamburg lebenden Hannelore.

Der Fokus gilt der Gegenwart, und doch ist in jeder Einstellung zu merken, dass Perla die Anwesenheit der Kamera bisweilen geradezu sucht, um ihre Erinnerungen und ihr Leid vor dem Vergessen zu retten. Als Perla jedoch von einem recht entwürdigenden Dokumentarfilm erzählt, den Mengele auf einem Medizinerkongress von der Ovici-Familie anfertigen ließ, wird nicht nur Shahar Rozens erzählerische Finesse deutlich; etwa, dass beim Blick auf den Körper Kleinwüchsiger immer auch schon Macht- und Normierungsverhältnisse angesprochen sind. Dann wird Liebe Perla auch zusehends zu Hannelores Film, zum Film einer Suche.

Weil Perla diesen Dokumentarfilm unbedingt in Israel wissen möchte, macht sich Hannelore auf in die Archive. Mit ihr reisen wir von Berlin über Münster nach Auschwitz, diskutieren über Humangenetik heute, stoßen auf Nazi-Mediziner, die nach dem Krieg große Karrieren machten, oder lernen den einst ebenfalls internierten polnischen Fotografen Brasse kennen. Die Suche scheitert. Doch vielleicht ist das auch gut so. Denn Liebe Perla hält gerade in dieser Weigerung, ein abschließendes „letztes Bild“ der Versöhnung zu finden, Fragen offen, die allenthalben im Deutschland nach Walser ihre bitteren Antworten längst gefunden haben.

heute, 19 Uhr, Metropolis

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