Sie heißt Irmgard

Die ganze Wahrheit über Hildegard Knef – erzählt von ihrer Schwester: Kabarett im Kleinen Theater

Wenn sie da so auf der Bühne steht, sieht sie ihrer berühmten Schwester doch sehr ähnlich. Kein Wunder, Irmgard ist ja auch nur zehn Minuten jünger als Hildegard, Irmgard ist der eineiige Zwilling von Hilde Knef. Jahrelang hat sie geschwiegen, weil sie gut dafür bezahlt wurde, aber nun hat Hilde, aus Bösartigkeit oder schlichter altersbedingter Vergesslichkeit, ihre Zahlungen eingestellt. Deshalb sieht sich Irmgard Knef gezwungen, mit der Wahrheit, der ganzen Wahrheit über die Familie Knef an die Öffentlichkeit zu gehen; mit ihrem Programm „Aufgestanden aus Ruin“ hat sie heute abend Berlin-Premiere im Kleinen Theater am Südwestkorso.

Ist Irmgard Knef abgeschminkt, dann heißt sie Ulrich Michael Heissig, ist 34 Jahre alt und ehemals Theaterregisseur, Schauspieler, Seifenoper-Storyliner, Kabarett- und Chansonautor. Vor mehr als zwei Jahren entwickelte der Heissig, „großer Fan von Hilde“, die Figur der verstoßenen Zwillingsschwester – weniger um sie zu parodieren, sondern aus Ehrerbietung: „Hilde ist schließlich einzigartig.“ Indem er behauptet, gar nicht die Knef sein zu wollen, sondern ihre Schwester, rührt er gerade respektvoll nicht an ihrer Einmaligkeit.

Nach umfangreichen Recherchen und dem Studium von Gestik, Duktus und Wortwahl entwarf Heissig einen Lebenslauf für die Zwillinge: Irmgard musste sich in New York als Stripperin durchschlagen, während Hilde am Broadway Triumphe feierte. Aber nicht nur das. Hilde hat sogar Irmgard ihre Songs geklaut und nur leicht verändert: Aus „Auch ich wollt’ Autogramme geben“ wurde so „Für mich soll’s rote Rosen regnen“. Die Autobiographie von Hilde hieß „Der geschenkte Gaul“, die von Irmgard heißt „Der gebuchte Hengst“.

Im Secondhandshop suchte Heissig mit den Plattencovern aus den 70ern unterm Arm nach viel zu großen Sonnenbrillen und noch größeren Schlapphüten. Schließlich schnitt er einen Herrenschnurrbart in zwei Teile und klebte ihn sich als Wimpern an. Die ersten Auftritte hatte Heissigs Knef dann in der Kreuzberger Subkultur, bei kabarettistischen Nummernrevues oder schwullesbischen Stadtfesten. Er legt Wert darauf, dass Irmgard keine Travestie-Nummer ist. Frühe Kritik aus schwulen Kreisen war eher: Die würde beim Ähnlichkeitswettbewerb auf dem letzten Platz landen. Inzwischen aber ist Heissig längst Knef II, und manchem Fan rutscht schon mal der Satz raus: „Ihr habt ja den gleichen Humor.“ Als hätte Hilde tatsächlich eine Schwester, die sich in Berliner Off-Off-Theatern ihr Gnadenbrot verdient.

Irmgard Knef, da ist sich ihr Schöpfer sicher, „könnte ein Medien-Gag werden“. Bei „Fliege“ war er schon. „Wenn die Figur erst mal etabliert ist“, sagt Heissig, „dann hat sie auch das Potenzial zur Witzfigur“. Daran will er jetzt erst mal arbeiten. Eine Rückkehr in die Lohnschreiberei fürs Fernsehen oder gar ans Theater kann er sich nicht vorstellen.

Allerdings: Ein zentrales Knef-Thema muss außen vor bleiben. „Den Krebs rühr ich nicht an“, sagt Heissig. Auch hier steht wieder der Respekt vor dem Objekt im Wege, Heissigs Programm ist zwar mitunter zotig, aber niemals unter der Gürtellinie. Zu sehr bewegt ihn das öffentliche Sterben der Knef.

„Ich habe auch den Ehrgeiz“, sagt Heissig, als wäre Irmgard ein länglicher Autogrammwunsch, „auf diese Weise der Knef zu sagen, wie toll es ist, dass es sie gibt.“ Trotzdem: Für Heissig geht seine Figur weit hinaus über eine Parodie: „Ich möchte die Diva der Zukurzgekommenen, der Gescheiterten sein.“ Schlussendlich operiert Heissig den Lebenslauf der Knef so um, dass aus dem berühmten Auf und Ab des Vorbildes nur mehr ein einziges großes, langes, grandioses Scheitern wird. Ohne allerdings den unterirdisch trockenen Humor der Diva zu vergessen. Sonst wäre soviel Traurigkeit wohl auch nicht auszuhalten. THOMAS WINKLER

Heute 20 Uhr Premiere im Kleinen Theater am Südwestkorso 64, Friedenau