DER METALL-ABSCHLUSS: EINE WENDE IN DER GEWERKSCHAFTSPOLITIK: Das Ende des Kollektivs
Die Reaktionen waren vorhersehbar: Die Arbeitgeber finden den Tarifabschluss gut, der Bundeskanzler findet den Abschluss gut, und selbst IG-Metall-Chef Klaus Zwickel hält die neue Vereinbarung plötzlich „für ein gutes Ergebnis“, obwohl er sich vorher für die „Rente mit 60“ ins Zeug gelegt hatte. Der Abschluss aus Nordrhein-Westfalen scheint in die Zeit zu passen – und markiert genau deswegen das Ende der früheren, ehrgeizigen Sozialpolitik der Gewerkschaftsbewegung.
Die Forderung nach einer vollen „Rente mit 60“ dürfte das letzte große Umverteilungsprojekt der IG Metall gewesen sein. Die kämpferische Rhetorik („notfalls werden wir dafür streiken!“), die Idee eines neuen Kollektivsystems in Form eines Tariffonds und auch die hohe finanzielle Forderung, die sich mit der Rentenidee verband, hatten an frühere Zeiten erinnert. An damals, als die IG Metall noch mit breit angelegten Projekten wie etwa der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich politisch zu punkten versuchte. Nur dass diesmal die Verteilungsfrage flugs in einen Generationenstreit mündete. Im Internet wetterten jüngere Facharbeiter gegen die hohen Beiträge, die sie in einem Tariffonds für die Älteren hätten aufbringen müssen. Aufmerksame Kommentatoren merkten an, dass Zwickels Vorschlag die Frauen benachteiligt hätte, die keine durchgängige Berufsbiografie vorweisen konnten. Insofern ist der Abschied von Zwickels Idee, allen 60-Jährigen den Ausstieg bei voller Rente zu erlauben, nur ein Zugeständnis an die ökonomische und soziale Wirklichkeit. Ein Zugeständnis, das in der Praxis für die Älteren immer noch gute Bedingungen bietet. Tatsächlich dürfen nach der jetzt vereinbarten Altersteilzeitregelung fast alle 60-Jährigen gehen – der Ausgleich der Rentenabschläge fällt allerdings geringer aus als ursprünglich von Zwickel gefordert. Einen betriebsübergreifenden Tariffonds wird es nicht geben.
Der neue Metallabschluss ist richtig in einer Zeit, in der sich die Gewerkschaften mehr um die Teilzeitarbeitenden, unfreiwillig Selbstständigen und Arbeitslosen kümmern sollten, als nur ihre männliche Vollzeitklientel zu bedienen. Aber ein Preis ist für solchen Pragmatismus künftig auch zu zahlen : Die Gewerkschaften verabschieden sich damit von ihrer alten kollektivistischen Sozialpolitik. Ein neues Verteilungsprojekt ist nicht in Sicht. Vielleicht ist dieser Abschied vom Kollektivismus irgendwann mal angesichts unveränderter Massenarbeitslosigkeit oder neuer Niedrigverdiener-Milieus zu bedauern. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) stellte gestern eine neue Imagekampagne vor. Motto: „Wer, wenn nicht wir?“ Genau das ist die Frage. BARBARA DRIBBUSCH
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