Trendwende zum Ablass-Handel

Nach anfänglicher Skepsis entdecken nun auch Europäer und Umweltschützer ihre Liebe zum Handel mit Verschmutzungs-Rechten im Klimaschutz. Großbritannien prescht voran: In einem Jahr soll dort eigens eine Börse gegründet werden

von MATTHIAS URBACH

Der Ablasshandel mit Luftverschmutzungslizenzen ist kaum noch zu bremsen. Die britische Regierung hofft, schon im April kommenden Jahres eine Emissionshandels-Börse einzurichten. Auf diese Weise könne ein gutes Zehntel ihres Klimaschutzzieles erreicht werden. Bis April 2001 soll die Börse gegründet sein. Auch in Dänemark arbeitet die Regierung an Börsenplänen. In Deutschland hält die Regierung bislang am Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung fest.

Doch die EU-Kommission schlug jüngst ebenfalls einen Emissionshandel vor (taz vom 9. März 2000). Bislang allerdings ist es nur ein grober Vorschlag, über den der EU-Umweltrat morgen erstmals reden wird: Rund 3.000 energieintensive Fabriken und Kraftwerke sollen an dem Handel beteiligt sein. Im April will die Kommission eine Arbeitsgruppe einrichten, die in zwei Jahren mit Vorschlägen aufwarten soll. Dann werden wohl Briten und Dänen bereits munter handeln.

Dies ist eine deutliche Trendwende. Lange wehrte sich die EU gegen jede Form von Abgasehandel, den vor allem die USA stets als das beste Mittel zum Klimaschutz anpriesen. Die Idee ist folgende: Jede Fabrik bekommt eine Lizenz, wie viel Kohlendioxid sie künftig noch ausblasen darf – auf jeden Fall weniger als zuvor. Nun hat der Besitzer zwei Möglichkeiten: Entweder investiert er in Maßnahmen, die seinen Ausstoß verringern. Oder er kauft weitere Lizenzen von anderen Fabriken hinzu, die mehr Kohlendioxid einsparen als gefordert. So wird dort reduziert, wo der Klimaschutz am billigsten ist.

Auch in den Umweltverbänden setzt ein Umdenken ein. „Wenn der Handel von vernünftigen Zielen begleitet ist, solange er nicht mit heißer Luft handelt, ist er vernünftig“, sagt etwa Stephan Singer, Klimadirektor bei WWF-Europa in Brüssel. Auch Anja Köhne vom Deutschen Naturschutzring (DNR) sagt, „richtig ausgestaltet ist das okay“ – nämlich mit „klaren ökologisch angemessenen Zielen“ und mit möglichen Sanktionen und Kontrollen. Genau das wäre in Großbritannien, aber auch EU-weit möglich.

Das Mittel des Lizenzhandels war in Verruf gekommen, weil die USA sich damit ein Schlupfloch öffnen wollten: Wenn statt Fabriken Staaten handeln, können sie sich vor ihren Verpflichtungen mittels „heißer Luft“ drücken. Damit ist gemeint, dass Staaten wie Russland und Ukraine wegen des Zusammenbruchs ihrer Schwerindustrien viel weniger Abgase ausstoßen, als sie nach dem Kyotoer Klimaschutzprotokoll dürfen – ohne dafür einen Finger gerührt zu haben. Wenn sie diese Lücke als Lizenzen teuer verkaufen würden, könnten sich die USA aller Verpflichtungen per Ablass entledigen.

Das brachte den Emissionshandel so sehr in Verruf, dass lange alle Anhänger selbst eines kontrollierbaren Handels unter Umweltschützern als „Verräter“ gebrandmarkt wurden. Aus der Industrie, bislang emsiger Verfechter des „marktwirtschaftlichen“ Emissionshandels, werden die Stellungnahmen indes immer skeptischer, je näher solche Regeln rücken. Vielen wird klar, dass auch mit einem Handel drastische Einsparziele verknüpft sein können.