piwik no script img

Europaweit Asyl für verfolgte Frauen

Vergewaltigung oder Verstümmelung sind keine Gründe für Asyl. Deutsche EU-Politiker wollen das ändern

BERLIN taz ■ Es sind nur fünf Worte, aber sie könnten eine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Asylpolitik bedeuten: „Frauenspezifische Asylgründe sind zu berücksichtigen.“ So steht es in einem Entwurf, den der SPD-Rechtsexperte Jürgen Meyer am Montagabend in Brüssel vorgestellt hat.

Meyer vertritt den Bundestag im Konvent zur Erarbeitung der EU-Grundrechtscharta, die im Dezember fertig sein soll. Er glaubt, dass sie „so bedeutend werden kann wie die Währungsunion oder die Osterweiterung“. Die deutschen Vertreter möchten asylsuchenden Frauen mehr Rechte einräumen. Sie begründen dies mit der „international zunehmenden Erkenntnis, dass Frauen als soziologische Gruppe oft besonderen Verfolgungen ausgesetzt sind“. Als Beispiel nennen sie die systematischen Vergewaltigungen im Bosnienkrieg, die zurzeit erstmals als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem UN-Tribunal in Den Haag verhandelt werden.

Meyers Vorstoß geht weiter als alle deutschen, aber auch als die meisten internationalen Regelungen. In den vergangenen Jahren machten lediglich die USA und Kanada Schlagzeilen, als sie durch Richtlinien und wegweisende Urteile unter anderem Genitalverstümmelung zu einem möglichen Asylgrund erhoben.

Ob sich Meyer innerhalb des Konvents, dem je ein Regierungsvertreter, 16 Mitglieder des EU-Parlaments sowie je zwei Parlamentarier der Mitgliedsstaaten angehören, durchsetzt, ist offen. Unterstützung signalisierten nach Angaben seines Mitarbeiters Bernd Cremer bereits Vertreter der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament.

Bisher fallen Frauen oft durch den Rost: Nach der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht politische Verfolgung einer Menschenrechtsverletzung, die jemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Rasse, einer Religion, einem Volk oder einer sozialen Gruppe erleidet. Frauen gelten nicht als „soziale Gruppe“.

So blieb bisher weitgehend unberücksichtigt, dass aus vielen Staaten Frauen fliehen, um sich einer Verfolgung als Frau zu entziehen: beschnittene Frauen, Frauen, die von Polizei oder Militär vergewaltigt wurden, und Frauen, die in Afghanistan gefoltert wurden, weil sie unverschleiert das Haus verließen.

Asylbegehren werden meist abgelehnt. Gerade im Falle von Vergewaltigungen heißt es immer wieder, es habe sich um einen „Exzess staatlicher Organe“ gehandelt. Da es dafür keine Anordnung gegeben habe, gebe es auch kein Asyl. JEANNETTE GODDAR

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen