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Oase für Cineasten in Ballonseide

■ St. Pauli ist kinofrei: Am 12. April schließt das traditionsreiche Proll-Kino „Oase“

Bald wird sich Hamburg in eine Stadt verwandelt haben, in der man abends getrost zuhause bleiben kann. In der Kinolandschaft ist der Siegeszug der Multiplexe kaum aufzuhalten. Wie eine UFA-Sprecherin mitteilte, wird jetzt auch das traditionsreiche Proll-Kino „Oase“ auf der Reeperbahn schließen. Der letzte Vorhang fällt am 12. April. Die Begründung: Wegen der „hohen Kinodichte“ in der Hansestadt seien die Besucherzahlen in der „Oase“ zurückgegangen. Und zwar so sehr, dass sich der Betrieb nicht mehr rechne. Momentan seien dort sieben Mitarbeiter beschäftigt, ein Teil von ihnen könne in anderen UFA-Kinos übernommen werden.

Vom Programm-Kino „Studio“ in der Bernstorffstraße abgesehen, ist St. Pauli nach der Schließung des Raucherkinos „Aladin“ im Sommer 1998 nun völlig leinwandfrei. Absehbar war die bevorstehende Last Picture Show allerdings: Erst wurden die für die Kinokultur auf der Reeperbahn so wichtigen 1-Uhr-Vorstellungen unter der Woche gestrichen, dann die regulären Spätvorstellungen immer weiter nach vorne verlegt. Und irgendwann liefen in der ersten Woche nicht mal mehr die ganz großen Blockbuster .

Von der Schließung der „Oase“ sind nicht nur die örtlichen No-inco-me-double-kids-Familien betroffen, die für den Kinobesuch nun in die Innenstadt fahren müssen, sondern alle Kinogänger, denen die aseptische Atmosphäre der Multiplexe ein Grauen ist. In der Oase verband sich pyrotechnische Kino-Action mit ballonseidener Publikums-Action, zogen Marihuana-Schwaden durch den Saal, dass selbst dem Filmvorführer schwindelig wurde, und nach jeder Explosion klingelte mindestens ein Handy, während türkische Gangs um den Preis für die beste Zwischenbemerkung wetteiferten. Hatte man Glück, gabs auch vor der Leinwand was fürs Auge: Wie zum Beispiel jener weinende Lude, der in Titanic seinem Pitbull die Augen zuhielt. Oder sein Berufskollege, der bei Armageddeon ungefähr fünf Mal Gassi gehen musste. Vielleicht wäre ein Hundeklo ja die Rettung gewesen. Tobias Nagl

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