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zoologie der sportlerartenPROF. HOLGER HIRSCH-WURZ über den Eishockeytorwart

STOIKER MIT SOMMERSCHLAF

Den Eishockey-Torwart, meine lieben Freunde der Körperertüchtigung, nennen wir Wissenschaftler Homo macrocellensis; im Vulgär-Deutschen spricht man von dem mit der großen Kelle. Es handelt sich um eine Unterart der Gattung des Eishockeyspielers Homo cellensis cellensis, der in Skandinavien und Nordamerika, aber auch in ausgewählten Bereichen Mittel- und Osteuropas seinen Lebensraum gefunden hat.

Der Homo macrocellensis ist ein typischer Einzelgänger: Artgenossen sieht er meist nur aus der Ferne. Er hütet eine kleine Höhle, die sich schnelle Gummigeschosse (Pucks) gemeinerweise als Wohnraum suchen. Stets scheint der Homo macrocellensis nervös und zerkratzt übersprungshandlungshaft mit der Kelle das Eis, besonders gern, wenn es gerade frisch poliert wurde. Danach schiebt er es in halbrunden Bewegungen wieder von sich weg. Weil er keinen Schnabel hat, nimmt er Getränke über einen Schnorchel zu sich. Seinen Helm zieren oft martialische Tiermotive, die gegnerische Rudel erschrecken möchten.

Stets gilt der Puckfänger als verletzlich, trotz seiner Panzerung, die jede Schildkröte neidisch machen würde. Aber wehe, es kommt ihm einer zu nah! Dann stellen ihn seine eigenen Artgenossen ohne Großkelle sofort unter strengen Artenschutz, indem sie Eindringlinge in seinem angestammten Lebensbereich zur Rede stellen und Uneinsichtige manchmal bös zurichten. Mit diesem auffälligen Sozialverhalten, dem wirksamsten internen Artenschutzabkommen der Tierwelt, wird der sonst so raue Kamerad zum fürsorglichen Freund.

Drei Unterarten sind dokumentiert: Da ist die klassische Variante der Tretjak-Schule, der auch der deutsche NHL-Macrocellensiker Olaf Kölzig anhängt. Diese Stoiker warten auf Beute wie eine schläfrige Raubkatze. Umso plötzlicher aber schnellen sie aus der Kauerposition empor und greifen zu.

Die zweite Subart ist der fußballtorwarthafte Macrocellensiker. Dieser neigt zur Erweiterung seiner Jagdzone, macht gelegentlich spontane Ausflüge bis an die Reviergrenze seines Drittels und ist recht schön in der Karriere des ehemaligen Nationaltorwarts Klaus Merk beschrieben. Dritte Subart ist der Linien-Hampler, der gegnerische Angreifer bewegungsreich verunsichern will und vortäuscht, seine Höhle habe überhaupt keinen Eingang. Hier ist Tschechiens Dominik Hasek zu nennen. Ihm wird der Butterfly-Style zugeschrieben, eine schmetterlingsfrische Begrifflichkeit, die uns Human-Zoologen sehr gefällt. Wie auch die Clubnamen: Sie müssten das Lächeln meiner Mitarbeiter sehen, wenn sie bei DEL-Studien geschöpfeübergreifend gleichzeitig über Pinguine und Skorpione arbeiten dürfen, über Haie, Löwen und Huskies.

Allerorten (Presse, Fans) wird der Großkellige immer wieder überschwänglich gelobt, oft als „bester Mann“ und „unüberwindlich“. Dies liegt besonders am ausgeprägten Mutneid der Beobachter. Zuletzt verdankten die Berlin Capitals ihren Halbfinaleinzug gegen die Krefelder Pinguine vor allem ihrem Macrocellensiker Andrej Mezin. Krefelds Karel Lang ist 41 Jahre alt. Doch gemeinhin vermag der Homo macrocellensis auch noch im hohen Sportleralter aufrecht zu stehen und manchmal einen Puck zu fangen.

Wegen seiner Panzerung wirkt der Homo macrocellensis meist mächtig groß, kräftig und athletisch. Beim Großkellen-Junior wiegt die Ausrüstung manchmal mehr als das kleine Geschöpf selbst (und Bambini-Torwarte, die Micro-Macrocellensiker, können sich sogar problemlos in ihrer eigenen Sporttasche verstecken). Umso verwunderter ist man, wenn der Eishockey-Torwart seinen dicken Helm halb aufrichtet oder völlig lupft und ein schmächtig Männlein hervorlugt. Helmut de Raaf war so einer. Wir sprechen hier vom künstlich erzeugten Turtur-Effekt (Scheinriesenhaftigkeit). Im Sommer halten alle Cellensiker Winterschlaf.

Bei knappem Spielstand am Ende seiner Arbeitszeit muss der Homo macrocellensis seine Höhle oft vorzeitig allein lassen. Weil das all seinen Schutz-Instinkten widerspricht, ist er dann immer sehr traurig.

(Wissenschaftliche Assistenz: Dr. rer. zoo. Bernd Müllender)

Autorenhinweis:Hirsch-Wurz, 69, ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen.

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