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Deconstructing Emmet

Über das Scheitern eines schrulligen Stars und andere liebenswerte Künstlerneurosen: Woody Allens „Sweet and Lowdown“ verbeugt sich vor dem zweitbesten aller Gitarristen

von HARALD FRICKE

Es kann nur einen geben. Er lebt in Frankreich, spielt im Quintette du Hot Club de France Gitarre, nimmt 1934 das zärtlich schwingende „Nuages“ auf, reist 1946 in die USA, um als erster europäischer Jazzmusiker mit dem Orchester von Duke Ellington aufzutreten, und stirbt 1953 mit Mitte dreißig an einem Herzinfarkt. Django Reinhardt, das Kind einer Roma-Familie, war ein legendärer Typ: Nach einem Unfall konnte er nur noch drei Finger seiner Griffhand bewegen und eignete sich gerade deshalb einen unglaublich frei durch die Akkorde wildernden Stil an; mit ihm wurde die Gitarre als melodieführendes Instrument in den Jazz eingeführt; ohne ihn hätten Charlie Christian, Les Paul oder Wes Montgomery nie Karriere als Solisten machen können. Kein Zweifel, Reinhardt war der erste Star an der Gitarre.

Kein Zweifel auch, dass Emmet Ray niemals so berühmt geworden wäre wie Reinhardt. Das wissen die in „Sweet and Lowdown“ vor der Kamera auf die 30er-Jahre zurückblickenden Jazzkritikerpäpste, das weiß auch Woody Allen. Sonst hätte er seine dokumentarisch gehaltene Hommage vermutlich einem anderen Loser als Ray gewidmet, der ständig pleite war, volltrunken Auftritte verpasste und schließlich in Vergessenheit geriet, nach ein paar, zugegeben hübschen Plattenaufnahmen für RCA/Victor.

Vor allem ist Emmet Ray eine fiktive Gestalt, dessen zusammengeklaubte Biografie Allen von Sean Penn verkörpern lässt. Penn wiederum ist mittlerweile durch und durch Method-Actor, so dass sein virtuos fingiertes Gitarrenspiel, für das er vier Monate geübt hat, ihn vor der Kamera völlig überzeugend zum „zweitgrößten Musiker“ auf seinem Instrument macht – „except for that gipsy guy in France“, wie auch er stets kleinmütig zugeben muss.

Zweimal hat Emmet in Europa Django live gesehen, zweimal ist er dabei ohnmächtig geworden. Beides ist vermutlich gelogen, weil Glamour zum Handwerk gehört. Wenn er Djangos Platten auf dem Grammophon hört, muss er trotzdem ehrlich weinen. Und wenn seine Mitmusiker ihn aufziehen, brauchen sie nur zu flüstern, dass Django im Publikum sitzt, und schon ergreift Emmet die Panik. Dass er auf seiner Flucht durchs morsche Nachbardach in eine Geldfälscherwerkstatt stürzt, ist dagegen ein Glücksfall, der ihm eine silbern funkelnde Limousine einbringt.

Ansonsten bleibt Django Reinhardt der Mythos in Emmets Leben, der ihn hemmt, selbst zu dem zu werden, woran er so sehr glaubt. Sein Talent reicht immerhin, um Clubbesitzer zu überzeugen und reihenweise Frauen zu verzaubern. Die stumme Hattie (Samantha Morton), die ihn liebt, lässt er aus Angst um seine Karriere sitzen; und die mondäne Blanche (Uma Thurman) betrügt ihn später mit einem Bodyguard, weil der Gangster weiß, wie man rangeht. Am Ende sitzt Ray allein mit seiner Gitarre am Straßenrand, schaut Zügen hinterher oder schießt Ratten tot. Nie werden seine Wünsche wahr: Der künstliche Mond, auf dem er göttergleich auf die Bühne schaukeln möchte, stürzt prompt ab.

Umso mehr kommt Ray in seinem Scheitern dem Psychogramm nahe, an dem Allen von jeher laboriert. Neurosen und andere Schrulligkeiten des Künstlerlebens tauchen bei Allen auf, seit er 1969 die triste Lebensgeschichte eines kleinen Ganoven namens Virgil Starkwell erzählt hat, der als sitzender Cellist einer Marching Band eine sehr unglückliche Figur bei Paraden machte. Überhaupt ist Allens filmisches Weltbild auf Anekdoten des amerikanischen Unterhaltungsgeschäfts gebaut: Als Standup-Comedian kriselt er in „Stardust Memories“ an seiner jüdischen Identität, für „Broadway Danny Rose“ musste Allen als Agent einarmige Jongleure vermitteln, und vor zwei Jahren hatte der dekonstruierte Harry eine Schreibblockade, weil er Block hieß. Die Komik der verpassten Chancen findet sich noch in Allens eigenem Lebensstil wieder: Zuletzt war er als Klarinettist in Sachen New Orleans Jazz auf Europatournee – immer ein wenig ängstlich, weil das Publikum doch ohnehin nur den Komiker und nicht den „Hobbymusiker“ sehen wollte, wie er in Barbara Kopples begleitender Dokumentation „Wild Man Blues“ verschnupft zu Protokoll gibt.

Auch der erfundene Ray ist ein Spiegelbild des Regisseurs, der noch heute den Sixties nachhängt, als er im Wohnzimmer – der Eltern! – mit einem Profi – aus Harlem! - Klarinette übte. Verarbeitet hat der Comedy-Star Allen die unerfüllte Musikerkarriere jedenfalls nicht. Da helfen auch keine zwei Oscars: Wenn Blanche dem betrunkenen Emmet vorwirft, er könne nie das Format von Django Reinhardt erreichen, weil es ihm an Leidenschaft fehlt, klingt der Satz schwer nach Allen auf der Couch bei seinem shrink.

Gleichwohl taumeln Allens Jazz-Age-Figuren in „Sweet and Lowdown“ dermaßen schwerelos und heiter durchs Leben wie Fellini-Gestalten. Es ist dieses europäische Gefühl für menschliche Unzulänglichkeiten, mit der die kühle Betriebsamkeit des US-Entertainments im Film aufgehoben wird. Plötzlich findet während der Depression irgendwo auf dem Land ein Talentwettbewerb statt. Kauzige Farmer spielen auf singenden Sägen, Old McDonald imitiert Tiere aus dem Wald. Emmet spielt nur Gitarre, aber er gewinnt. Für sein Hillbilly-Publikum ist er an diesem Tag der zweitbeste Gitarrist der Welt. Nur Django Reinhardt ist eben besser. Aber den werden sie ohnehin nie kennen lernen.

„Sweet and Lowdown“. Regie: Woody Allen. Mit Sean Penn, Samantha Morton, Uma Thurman, Woody Allen u. a. USA 1999, 95 Min.

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