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Überraschte Ungarn

Bisher dachten die Ungarn, dass Haider sie nichts angeht. Zu Unrecht. Die ungarische Regierung ist noch rechtspopulistischer als Haiders Partei. Ungarn gefährdet seine Aufnahme in die EUvon ISTVÁN EÖRSI

Die Europäische Union hat Österreich zu Recht ausgegrenzt, nachdem Haiders Partei an die Regierung kam. Eine Partei ist als aussätzig zu betrachten, deren Führer Zusammenkünfte der Waffen-SS besucht, das Heldentum und die Prinzipienfestigkeit des SS-Soldaten rühmt und die Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches lobt.

Die diplomatische Entscheidung der 14 EU-Staaten hat enorme Konsequenzen für die Staaten, die erst in die EU aufgenommen werden sollen. Zum Beispiel für Ungarn. Dort kündigt sich eine innenpolitische Formation an, die noch weniger akzeptabel ist als die Regierungsbeteiligung der Haider-Partei in Österreich. Bloß: Gegen Ungarn braucht man gar keine Sanktionen zu ergreifen; es reicht schon, wenn man uns nicht in die EU aufnimmt.

Ministerpräsident Viktor Orbán und sein Bund Junger Demokraten (Fidesz) sowie sein Koalitionspartner József Torgyán von der populistischen Kleinlandwirte-Partei versuchen, alte parteistaatliche Strukturen unter pluralistischen Bedingungen wieder zu beleben. Die Rolle des Parlaments wurde zielbewusst vermindert, und gegen die Wirtschaftskriminalität der regierungsnahen Kreise wird höchstens zögernd ermittelt. Denn die Staatsanwaltschaft wird anscheinend unter Druck gesetzt, und die Polizei ist der Regierung hörig. Um die konstitutionellen Rechte der Opposition systematisch zu beschränken, bedienen sich die Jungen Demokraten der inoffiziellen Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Partei von István Csurka. Aktuellstes Beispiel für dieses diskrete Bündnis ist die Besetzung von etlichen Medienkuratorien, die ohne einen einzigen Oppositionsvertreter gebildet wurden. Die Leitung der Nachrichtenprogramme der öffentlich-rechtlichen Sender ist von der extremen Rechten unterwandert. In den Parlamentsausschüssen erreichen die Regierungsparteien mit Hilfe von Csurka beliebig die Zweidrittelmehrheit, um die Kontrollbefugnisse der Opposition zum formalen Spiel zu degradieren.

Dies hat Kontinuität: Torgyán ist ein hetzerischer Demagoge, mit autokratischen Eigenschaften und einer äußerst suspekten Vegangenheit. Schon 1996 versprach er seinen Anhängern, dass er, einmal an der Macht, das „pseudoliberale Ungeziefer“ ausrotten würde. Bekanntlich erfolgt die Lausvertilgung mit Zyangas, und wer „pseudoliberal“ ist, das bestimmt der Kammerjäger. Csurkas Partei ist ideologisch noch leichter zu definieren. Sie gewann ihr individuelles Profil durch konstant antisemitische und nationalistische Hetze. Csurka grenzte sich spätestens 1995 selbst aus Europa aus, als er aus Anlass des 50. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkriegs die Niederlage aus ungarischer Sicht als „tragisch“ bezeichnete. Sein neuester Fehlgriff: Er bezeichnete die ungarische Naturkatastrophe, die Flussvergiftung durch Zyan, als einen niederträchtigen rumänischen Angriff gegen den „ungarischen Lebensraum“; er hielt einen Vergeltungsschlag mit allen geeigneten Mitteln (auch mit militärischen) für notwendig und forderte nebenbei sogar die Unabhängigkeit von Transsylvanien.

Die Bürger der einstigen Länder sowjetischen Typs sind aus zwei Gründen für eine rechtspopulistische Verführung besonders anfällig. Zum einen: Nach dem Zusammenbruch der Diktatur hofften sie, dass ihnen die politische Freiheit in den westlichen Demokratien und das westliche Lebensniveau als Erbteil zufallen würden. Diese schnell verlorenen Illusionen stürzten breite Schichten in die Verzweiflung. Und verzweifelte Menschen sitzen Demagogen schneller auf. Besonders wenn – und hier haben wir den zweiten Grund – das Ideenangebot der neuen Gesellschaftsform ärmlich ist. Das Christentum hatte, so lange es als politische Idee funktionierte, den lieben Gott anzubieten; der Liberalismus proklamierte die Freiheit, und der Sozialismus forderte die allumfassende Gerechtigkeit. Doch im praktischen Leben werden alle drei Ideen durch das Geld ersetzt. Das ist der real funktionierende Gott dieser Gesellschaft, die Objektivierung der Freiheit und die Maßeinheit der Gleichheit. So entstand für viele mehrmals enttäuschte Bürger des Sowjetsozialismus eine ideologische Lücke, die nun der Nationalismus und Hass auf Minderheiten ausfüllen.

Wie weit sich die ungarische Rechte vom europäischen Normkonsens entfernt hat, wird ihr selbst jedoch nicht bewusst. Und dies liegt auch an der europäischen Heuchelei, die von den ungarischen Medien deutlich wahrgenommen wird: Die Union betreibe eine ähnlich restriktive Asylpolitik auf kontinentaler Ebene wie Haider auf nationaler. Der Unterschied bestehe hauptsächlich darin, dass Haider bei seinen Formulierungen die Provinz des demokratischen Wortschatzes hinter sich lässt. Darin liegt etwas Wahres. Das Schengener Abkommen beruht auf einer fremdenfeindlichen Psychose und verstärkt diese noch in seiner alltäglichen Praxis. Die Lebensumstände der Flüchtlinge werden in den westeuropäischen Demokratien auf staatsbürokratische Weise verschlechtert. Es wird also offiziell suggeriert, dass der Staat die Mitglieder der Nation vor Parasiten und Lügnern bewahrt.

Allerdings glaube ich, dass die Heuchelei, obwohl sie eine hässliche Eigenschaft ist, über eine gewisse zurückhaltende Kraft verfügt. Wer seinen Fremdenhass heuchlerisch verbirgt, wird davon Abstand nehmen, öffentlich zu morden. Auch vor gewissen Wörtern und Maßnahmen wird er sich hüten.

Diese Heuchelei kann aber ein Grund sein, warum die regierenden Parteien in Ungarn nicht damit gerechnet haben, dass Haider aus Europa ausgegrenzt wird. Das erklärt sich auch aus der persönlichen Geschichte der Regierungsgarde um den ungarischen Ministerpräsidenten Orbán. Er und die anderen Führungskader seiner Partei waren zum Zeitpunkt der Wende 25 bis 30 Jahre alt. An die herrschende Ideologie des Parteistaates glaubten sie nicht mehr, doch auch die demokratischen Ideale der pluralistischen Gesellschaft schüttelten sie von sich ab wie der Hund das Wasser. Diese Garde treibt eine einzige Idee um: dass man sich durchsetzen muss. Berufungen auf Ideologie und Ethik betrachten sie als Alibi. Da ist es kein Wunder, dass die in der westlichen Welt vorherrschende Doppelzüngigkeit den Regierungschef zu der Annahme verleitet haben mag, dass gegen die Spielregeln auch mehr oder weniger offen verstoßen werden kann. Ein Denkfehler: Wenn dem wirklich so wäre, dann bedürfte es der offiziellen Heuchelei nicht mehr.

Dieser Denkfehler erklärt, warum der Ministerpräsident im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegenüber Haider überraschenderweise das Wort „Überraschung“ benutzte. Und weitere Überraschungen warten noch auf ihn. Mit gutem Grund muss er jetzt befürchten, dass seine inoffzielle, aber unleugbare Kooperation mit der nazigeruchbehafteten Partei von Csurka zum Thema des europäischen Diskurses wird. Und wenn dieser Diskurs erst einmal einsetzt, dann drohen ihm neuerliche Überraschungen ohne Ende.

Aus dem Ungarischen von Gregor Mayer

Hinweise:Die Opposition wird systematisch beschränktDer Regierungschef ist ein hetzerischer Demagoge

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