: Die Diva springt im Dreieck
Der Text zur Oper „Adriana Lecouvreur“ gilt als schwer erträglicher Schinken über eine ziemlich triviale Love-Story. Trotzdem wird Cilèas Werk jetzt am Bremer Theater inszeniert. Die Regisseurin Gabriele Rech sagt, warum
Ist Francesco Cilèa, der Kollege und Zeitgenosse von Giacomo Puccini, Ruggiero Leoncavallo und Pietro Mascagni, ein zweitklassiger Komponist des ausgehenden italienischen Verismus? Ist der Text zu seiner Oper „Adriana Lecouvreur“ ein schwer erträglicher Schinken? Der Inhalt ist genauso schwer zu erzählen wie der von Verdis Troubadour oder Mozarts Figaro. Das nackte Gerüst: Maurizio (Moritz), der Graf von Sachsen, war/ist der Geliebte der Fürstin von Bouillon, hat aber längst ein Techtelmechtel mit der berühmten Schauspielerin Adriana Lecouvreur - die es historisch gab - angefangen. Adriana stirbt am Schnüffeln an einem vergifteten Veilchenstrauß. O je! Trotz der kruden Story wird die 1901 entstandene Oper jetzt am Bremer Theater inszeniert. Die Regisseurin Gabriele Rech kann der auf den ersten Blick ziemlich trivialen Dreiecksgeschichte ganz viel abgewinnen.
taz: Frau Rech, ich lese den Inhalt und treffe auf einen regelrechten Schinken aus Mäzenen, Mätressen, Macht und Kirche. Ist das nicht reichlich veraltet? Und darin die soziale Rangordnung der Schauspielerin, die damals im 18. Jahrhundert an der untersten Stufe stand?
Gabriele Rech: Durch die Akzentuierung unserer Sichtweise, nämlich das sich gegenseitige Durchdringen von Spiel und Wirklichkeit, ist die reine Handlungslogik nicht mehr so bedeutend. Viel wichtiger ist die innere Befindlichkeit der Figuren. Wir lassen das Stück im Heute spielen, um die Figuren näher an unsere Wirklichkeit zu holen, wir erfahren und erzählen von unserem Theateralltag.
Es handelt sich doch um zwei recht starke Frauen und um zwei kümmerliche Karikaturen des Patriarchats?
Adriana Lecouvreur war so berühmt, weil sie eine ganz schlichte Deklamation beherrschte. Im Stück erfahren wir, wie sie zu ihrer besonderen Art der Darstellung gelangt: Die Wirklichkeit überschneidet sich mit dem Spiel. Auf dem Theater wird sie mit den Dingen ihres realen Lebens konfrontiert, das macht ihr Spiel so überzeugend. Das Stück ist ein Stück über unsere tägliche Arbeit, wann spielen wir, wann erfüllen wir Rollen, wie „echt“ sind unsere Gefühle wirklich? Was Sie zu den Männern sagen, stimmt. Auch musikalisch sind zum Beispiel der Abbé und der Fürst buffonesk, sie ergänzen sich in ihren Sätzen.
Kann man eine Polarisierung zwischen Adel und Bürgertum herausabeiten?
Heute wird doch die Macht des Adels durch die Macht des Geldes ersetzt, das zeigen wir auch.
Warum kommt es denn zu der großen Auseinandersetzung zwischen Adriana und der Fürstin? Maurizios Beziehung zur Fürstin ist doch Vergangenheit?
Die Beziehung besteht noch, die Fürstin ahnt eine Konkurrentin, aber Maurizio ist zu feige, das klar einzugestehen, da er durch die Fürstin beruflich weiterkommt. Adriana, die damalige echte, hat übrigens sehr unter seiner Leichtfüßigkeit gelitten, das weiß man aus Briefen. Ich will ihn aber nicht denunzieren, denn ich will glaubhaft machen, was Adriana an ihm findet. Es ist die Leichtigkeit des Seins, der Humor. Wir dürfen nicht einfach zersetzen, wir müssen auch erzählen.
Adriana rezitiert den Monolog der Phaedra von Racine, benutzt ihn, um Anspielungen zu machen, die Fürstin zu demütigen. Ist diese Szene ein Höhepunkt?
Eine unerhörte Szene. Es bricht aus Adriana heraus: Die Wirklichkeit trifft die Kunst und umgekehrt. Sie zitiert, aber es wird ganz real. Die Fürstin versteht die Anspielungen. Adriana hat den Wunsch nach Ehrlichkeit, aber sie möchte nicht brüskieren. Dafür nutzt sie die Literatur.
Ist die Musik nicht doch ziemlich anachronistisch, 1901?
Natürlich, das ist schon so, weil es viele Anklänge an andere Komponisten, zum Beispiel Puccini gibt. Obwohl: Auf italienischen und französischen Spielplänen erscheint die Oper immer noch.
Was macht die Musik mit dem Text? Ich habe eine Stiländerung im vierten Akt festgestellt, Cilèa findet fast zu so etwas wie Montage und Fragment. Aber stark an ihr ist, dass sie immer geradezu überschwänglich eigene starke atmosphärische Räume findet.
Genau. Sie hat teilweise Leitmotive, sie lässt rezitativische Anfänge in Arien übergehen. Das Fragmentarische hat inhaltliche Gründe, Adriana ist immer weniger in der Lage, die Wirklichkeit zu erkennen - als Folgeerscheinung des Gifts. Die Beziehung zu Maurizio findet nur noch als Utopie statt, sie ersehnt den realen Maurizio nicht mehr, stellt ihn sich nur noch in der Loge vor. Sie zerbricht letztlich an der Liebe, das spiegelt die Musik. Maurizio ist hilflos, er gibt keine eigenen Melodien mehr vor, er singt ihr sozusagen nach.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Premiere: heute, 1. April, um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz. Eine Kritik lesen Sie am Montag
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