Die andere Wehrmachtsausstellung

Deutsche Soldaten haben nicht nur gemordet, sondern auch Fotos geschossen. 400 von ihnen zeigt nun das ehemalige Kapitulationsmuseum in Berlin. Der Krieg: ein Pfadfinderausflug, die Truppe: eine Reisegruppe. Bis sich langsam der Horror einschleicht. Doch der Tod blieb außen vor

von PHILIPP GESSLER

Es beginnt als Abenteuer, als Pfadfinderausflug: Junge Männer an Bahnhöfen beim Abschied von den Lieben, in den Zügen richtung Osten, am Lagerfeuer und beim Saufen. Dann die Bilder voll Exotik: Bauerndörfer in der Steppe, Kirchen in der Ukraine, Touristenfotos, mehr nicht. Doch schon jetzt lässt sich der Horror nicht mehr verbergen: Brennende Häuser sind zu sehen, Gefangene, Exekutionen gar – und schließlich Gräber, hunderte Gräber. Das war der Angriffskrieg der Wehrmacht auf die Sowjetunion, wie ihn der einfache deutsche Soldat, 0815, festhielt.

Zu sehen sind diese Dokumente seit Donnerstagabend in der Ausstellung „Foto-Feldpost. Geknipste Kriegserlebnisse 1939 – 1945“ im deutsch-russischen Museum Berlin-Karlshorst. Es ist der Ort, wo die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet wurde. Wieder eine Wehrmachtsausstellung also, aber eine andere als die bekannte, die dem großen Publikum die Schuld der deutschen Armee beim Vernichtungskrieg im Osten deutlich gemacht hat.

Die Ausstellung in Karlshorst will etwas anderes. Sie will nicht beweisen. Sie legt nahe: So haben die einfachen Soldaten den verdammten Krieg gesehen, so oberflächlich oft, so Klischee-beladen, so zynisch. Es sind die Fotos, die man der Verlobten nach Hause schickte, um zu zeigen: „So leben wir, uns geht es einigermaßen.“ Und es sind Fotos von Amateuren, „Knipsern“ eben. Hunderttausende der 15 Millionen deutschen Soldaten hatten eine Kamera im Tornister.

Wer oberflächlich durch die Ausstellung geht, bekommt den Eindruck, hier gingen junge Männer in die Sommerfrische, auf große Fahrt: War das nur Verdrängung? Nein, erklärt Museumsleiter Peter Jahn, hier sollte auch ein Stück normales Leben durch die Bilder erhalten, ein wenig Zivilität und Geborgenheit in der Zwangsfamilie Militär vorgespiegelt werden, auch zur Selbstversicherung und für zu Hause: Ich bin nicht nur eine „Kampfmaschine“. Touristisch war der Blick oft, da kaum einer der jungen Landser zuvor je weiter als 150 Kilometer von seinem Heimatort fort gewesen war. Die Truppe diente auch als Reisegruppe.

Dennoch schockiert der kalte Blick auf die Leiden des Gegners, die herzlosen Kommentare unter den Fotos in den Alben: „Judas verrecke“ hat einer unter ein Bild geschrieben. Auf ihm sind zwei Soldaten zu sehen sind, die einen bärtigen Juden demütigen. Das mitleidsferne Ablichten des geschundenen Feindes, ob Zivilist, ob Soldat, ist nicht nur mit technischem Unvermögen und dem propagandaverwirrten Hirnen der Jungmänner zu erklären. Hier fotografierten viele Überzeugungstäter, Antisemiten, Kommunistenfresser und selbst ernannte Herrenmenschen.

Vielleicht deshalb war der Tod der Kameraden so unerträglich und so nahe, dass er nur in Form von „Heldengräbern“ auftaucht. Der Tod, das ist immer der andere. Der Besucher der Ausstellung sucht vergeblich nach einem Foto eines gefallenen deutschen Soldaten: Unter den 18.000 Bildern, die für die Ausstellung gesichtet wurden, fand sich kein einziges.

Die Ausstellung im deutsch-russischen Museum Berlin-Karlshorst dauert noch bis zum 12. Juni (Di. – So. 10 – 18 Uhr). Der Eintritt ist frei. Ein Katalog zur Ausstellung ist dort für 20 Mark zu erhalten.